„Mein Jahr mit Pferden“ – Vaclav Vydra im Interview

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Vaclav Vydra © Vaclav Vydra
Frankfurt am Main, Deutschland (Salon Philosophique). Bernd Paschel interviewte den tschechischen Schauspieler und Jagdreiter Vaclav Vydra, der in Malcany, 40 km von Prag, eine Hufklinik ins Leben gerufen hat und den Pferden dort eine vorbildliche „artgerechte“ Haltung ermöglicht.

 

Vaclav Vydra (geboren 7. Januar 1956) ist ein tschechischer Theater-, Fernseh- und Film Schauspieler. Sein Großvater Vaclav Vydra war bereits ein bemerkenswerter Schauspieler in der Tschechoslowakei und Direktor des Nationaltheaters von 1945 bis 1949. Sein Vater Vaclav Vydra war ebenfalls ein berühmter Schauspieler ( 1902 – 1979).

Seine Mutter Dana Medricka (1920 bis 1983) war eine der größten und beliebtesten tschechischen Schauspielerinnen.

Er arbeitete in mehreren Theatern in Kladno , Mlada Boleslav und im städtischen Theater in Prag  und hatte über 100 Auftritte in Film und Fernsehen in der Tschechischen Republik.

Paschel: Herr Vydra, Sie sind ein bekannter und beliebter Theater-, Film- und Fernsehschauspieler. Ihre  erste grosse Filmrolle war im  Film „Das Halbhaus ohne Breutigam“ 1980, wenn ich richtig informiert bin. Sie spielten auch viele Rollen mit Pferd?

Vydra: Meine erste Rolle mit Pferden war die Gestalt von Jan Albrecht Smiricky in der fünfteiligen historischen Serie aus der Zeit vor und nach der Schlacht auf dem Weißen Berg (vor und nach dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges). Die Serie hieß „Arzt der sterbenden Zeit“ und wurde im Jahre 1983 gedreht. Eine weitere Rolle als Reiter war in der tschechischen Fernsehserie „Wildgewordenes Land“ Ende der 1990er Jahre. Dort hatte ich die Aufgabe, bergab zu einem Auslauf mit Kühen zu galoppieren. Man wollte es mit einem Stuntman drehen, aber ich habe ihn abgelehnt und sagte, ich werde es selbst schaffen. Vorher hatte ich immer Angst, bergab zu galoppieren. Mein Stolz hat es mir jedoch nicht erlaubt aufzugeben und so habe ich festgestellt, dass es eigentlich kein Problem ist. Und noch eine Geschichte aus den Dreharbeiten kann ich erzählen: Mit zwei meiner Kollegen hatte ich eine Pause während des Drehtages, so haben wir unsere  Schauspiel – Pferde genommen und sind ausgeritten. Wir verirrten uns in der Sumpflandschaft und als wir zurückkamen, hatte der Filmstab auf uns seit ca. einer Stunde gewartet. Wir bekamen heftige Vorwürfe, jedoch der Ausritt war sehr schön.

Eine wirklich schöne Rolle mit einem Pferd und über die Pferde habe ich leider nicht noch nicht bekommen.

Paschel: Mittlerweile haben Sie einen eigenen Reithof mit Hufklinik, wo Pferde argerecht gehalten werden. Was verstehen Sie unter artgerecht?

Vydra: Damit meine ich, das das die Pferde  in solchen Bedingungen leben, die  sich möglichst ihrer natürlichen Umwelt annähern, also im unmittelbaren Kontakt zu den anderen Mitgliedern ihrer Herde und mit der Möglichkeit einer freien Bewegung, dies rund um die Uhr.

Pferde haben keinen Tag–Nacht–Rhythmus wie wir Menschen, ihre Aktivität ist auf die gesamten 24 Stunden verteilt, während der sie höchstens jeweils einige Dutzend von Minuten schlafen. Also in Summe schläft ein Pferd höchstens vier Stunden am Tag.

Da wir in unseren Bedingungen den Pferden keinen so großen Freiraum bieten können wie die Steppe es war, wo sich die Pferde entwickelten, wie sie heute sind, müssen wir ihnen  einen abwechselungsreichen Freiraum mit genügend festem Untergrund bieten, der sie zur Bewegung motiviert, wo sie genug Futter bekommen (gutes Heu, Grass, Hafer, sowie verschiedenes Zusatzfutter, welches z. T. in unserem begrenzten Raum allein nicht vorkommt, wie etwa Äste zum Abknabbern,  Salz, Mineralstoffe), einen leichten Zugang zum Wasser (sowohl zum Trinken, als auch zum Hufbad – denn das Hufhorn braucht Wasser, um elastisch zu bleiben), und Schatten (Unterstand, wo sich die Pferde an heißen Sommertagen ausruhen können). Diese Freiräume einschließlich Weiden sind täglich aufzuräumen und sauber zu halten. Natürlich sind auch die Pferdehufe regelmässig zu kontrollieren und auszuschneiden, denn in den Bedingungen, in den wir die Pferde halten, wie gut diese auch immer sind, können wir nicht das Gleichgewicht zwischen Wachstum und Abnutzung von  Hufhorn sicherstellen. Und nicht zuletzt ist es unsere Aufgabe, wenn wir uns ein zufriedenes, gesundes und ausgeglichenes Pferd wünschen, ihm genügend Reize und Wahrnehmungen zu bieten. Es aus der grauen Monotonie des Alltags bringen, ihm eine weitere Bewegung sowohl mit uns auf seinem Rücken als auch ohne uns, zu verschaffen, ihm neue Plätze zu zeigen und ihm neue Erlebnisse zu bieten.

Paschel: In Ihrem Artikel „My Year round with horses“ (siehe weitergehend Literatur) charakterisieren Sie Ihre Pferde-Mensch-Beziehung mit den Begriffen Vertrauen, Verstehen und Freude. Wie kann man sich das praktisch vorstellen?

Vydra: Ganz einfach. Es ist eine Beziehung wie jede andere. Damit sie funktioniert, ist gegenseitiges Vertrauen und Verstehen die Grundlage. Und für die Freude machen wir es ja. Für mich hat es sich meistens gelohnt, zuerst eine Vertrauensbasis zu schaffen, sozusagen mit dem Herz auf der Hand kommen, selbstverständlich unter Berücksichtigung der „pferdischen“ Natur, welche Ausdrucks- und Kommunikationswege das Pferd hat, was es in der Lage ist zu akzeptieren, was ihm angenehm und unangenehm ist. Sobald ich spüre, dass das Pferd meinem Vertrauen entgegenkommt, kann ich beginnen, von ihm mehr zu verlangen, z. B. lass mich reiten, folge mir, schone meinen Raum oder umgekehrt komm herein in meinen Raum – bei mir ist es gut. Erdreistest du dich etwas, was das Alphatier nicht tolerieren kann, „beiße ich dich“ – Ich bin der Chef.

Kannst du dies? Jenes? Komm mal es zu probieren! Es ist lustig…. Hat es geklappt? Ich freue mich darüber. Du auch? Also können wir den gemeinsamen Weg gehen. Ich werde dich jedoch nie mehr verlassen.  Darauf kannst du dich auf meinen Respekt verlassen. Kann auch ich mich auf dich verlassen?  Gut. Also danke… Nun, dies aber nicht, das probiere mit mir nicht. Der Chef werde ja ich sein!

Paschel: Im Sport höre ich oft „das Pferd muss arbeiten“. Ist das nicht bei Dreharbeiten für den Film die gleiche Situation?

Vydra: Im Grunde genommen, ja, jedoch in dem Sinne, dass die Arbeit nicht aufhören, sondern auch Spaß machen sollte.

Wer wollte Schauspieler sehen, dem seine Arbeit keinen Spaß macht? Der Glaube, dass ein Pferd arbeiten muss, entstand  meiner (und ich glaube, nicht nur meiner) Meinung nach aus der Erkenntnis, das dass Pferd viel Bewegung braucht, um gesund zu sein. Und die Bewegung bedeutete beim Pferd immer Arbeit, da es für den Menschen arbeitete und der Mensch es dafür ernährte. Genauso im Sport. Jedoch sollte die Arbeit nicht eintönig sein und sollte sowohl dem Pferd als auch dem Reiter Freude bereiten. Denn es wird auch gesagt: „Nur ein glückliches Pferd kann auch den Reiter glücklich machen“. Ich würde mittlerweile in jeder Aktivität mit dem Pferd immer seine Gesundheit und Zufriedenheit  in den Vordergrund stellen. In einem tschechischen Gedicht vom bekannten Dichter Frana Sramek, der es aufgrund der Erfahrungen aus dem 1. Weltkrieg schrieb, wird gesagt: „… also marschiert der Mensch gern, Er marschiert nach dem Begehren, Er muss auf Befehl gehen, Wenn die Obrigkeit es will, Muss er ja streben, Dem Tode entgegen. Doch schonet, bitte tausendmal, das Leben der Pferde in diesem wahnsinnigen Kampf, Das gute Tier kann so unheimlich fragen, In diesem Jammertal, Warum es plötzlich nicht mehr leben darf, Nicht mehr, Nicht mehr, nicht einmal”¦“

Paschel: Durch den Profisport ist das Spiel als „zweckfreiesTun“ gestorben. Der Sportbegriff ist darüber hinaus wesentlich durch den Wettkampfgedanken geprägt.

Verstehe ich sie richtig, dass Sie im Umgang mit Pferden diese beiden Aspekte ablehnen?

Vydra: Ja, meiner Meinung nach verstehen Sie es vollkommen richtig. Der Sport sollte vor allem Spiel bleiben. Und Sport mit Pferden überhaupt.

Das Spiel sollte vor allem für das Pferd ergebnisreich sein. Wir sollten uns über den gemeinsamen Weg freuen, auf dessen Ende wir ein eingespielteres und besseres Paar als die anderen Paare. Und das ist der Wettbewerb. Nicht etwa das Pferd zu Leistungen um jeden Preis zu zwingen, sondern den Weg zu genießen. Und diesen Weg sollte man nicht forcieren.

Paschel: Als Schauspieler begreifen Sie sich über den „Spieler“ hinaus als einen „ewig Lernenden“. Was können wir von den Pferden lernen? Können die Pferde überhaupt etwas von uns lernen?

Vydra: Die Pferde lehren uns wahrnehmen, fühlen, spüren, nachdenken, sich verständigen, Sie lehren uns Geduld, Konsequenz, Selbstbeherrschung. Eilen mit Weile. Sie lehren uns, dass Sachen in unserem Leben nicht die Hauptsache sein sollten. Sie sollten in uns mindestens Reste von Empathie zum Leben hervorrufen. Und aufgrund dessen sollten wir begreifen, dass wir ihnen ein gesundes und zufriedenes Leben bieten sollen und uns bewusst werden, dass wir auf diesem Planeten nicht allein sind. Und dass wir hier nicht mal allein sein wollen. Wir sollten gute und geduldige Schüler sein.

Und was können die Pferde von uns lernen? Die Pferde können von Geburt an eigentlich alles, was sie zum Leben brauchen, jedoch können sie von uns lernen, was sie zum Zusammenleben mit uns brauchen, weil sie es in der Zukunft, leider, brauchen werden. Es setzt jedoch voraus, dass wir gute und geduldige Schüler werden. Wir werden einfach zum Bestandteil ihrer Herde. Und das bedeutet, dass wir dafür sorgen müssen, dass ihr Leben „pferdisch“ bleibt.

Paschel: Sie nennen das Pferd „ein guter Freund – kein Sklave“. Welche Freiheiten geben Sie dem Pferd?

Vydra: Solche, die ich in der Lage bin, ihnen zu bieten. Solche, wenn ich im Auslauf ein offenes Tor lasse, dass sie keinen Bedarf haben, irgendwohin  oder wegzugehen oder, wenn  ich sie auf den umliegenden ungezäumten Wiesen frei weiden lasse, dass sie nach ein Paar Stunden in ihren Auslauf selbst zurückkehren oder, wenn ich will, dass sie früher zurückkehren, fahre ich hin, sage „Kommt nach Hause“ und wir gehen nach Hause. Ich kann sie irgendwo frei weiden lassen, ich binde sie nicht an und sie gehen meistens nicht weg. Ich probiere, wieviel „Freiheit“ sie vertragen können.

Und im Auslauf (damit meine ich einen gut gestalteten Aktivstall), in ihrer „Freizeit“ wählen sich Pferde bei uns ihren Tagesablauf vollkommen selbstständig.

Ab und zu sage ich mir, dass sie mehr „Freiheit“ haben, als wir Menschen.

Im Dezember laufen 150 Jahre seit der Aufhebung von Sklavenherrschaft in den USA ab. Es ist gar nicht so lange her, jedoch betrachten wir bereits die Sklavenherrschaft als eine vollkommen unzulässige Gesellschaftsordnung. Und wieviel Freiheit haben wir selbst?! Und, wie leicht verzichten wir selbst unter verschiedenen Vorwänden freiwillig darauf? Die Freiheit bedeutet nicht 100% Sicherheit. Sie ist manchmal auch gefährlich. Sie ist es jedoch wert!

Paschel: Wäre es nicht konsequent, dem Pferd ganz die Freiheit zu geben?

Vydra: Es wäre, es ist aber das, worüber ich gesprochen habe. Nicht mal wir selbst haben eine vollkommene Freiheit.

Und, darüber hinaus, nehmen wir weltweit immer mehr Platz ein. Wie viele wirklich natürliche Plätze zum Leben bleiben weltweit für die Pferde? Darüber hinaus haben wir Menschen sie über alle Ecken der Welt verstreut, wo es niemals eine „natürliche Umwelt“ für sie gab.

Und, darüber hinaus bewundern wir sie und manche Menschen wollen mit ihnen den gemeinsamen Weg teilen. Und das kann ein Vorteil auch für sie sein, wenn sie ihnen mindestens so viel Freiheit geben, wie die Pferde – wären sie wahlberechtigt – wählen würden.

Paschel: Als Jagdreiter reiten Sie mit Halsring. Wie gelingt es Ihnen, das Pferd als Herdentier unter Kontrolle zu halten?

Vydra: Na, es gelingt. Meiner Meinung nach funktioniert es dank all der Faktoren, über die wir bereits gesprochen haben. Ich bin sein Alphatier diesmal unter fremden Pferden. Wir gehen gemeinsam den Tag genießen und beweisen uns, dass wir über manche Baumstämme springen, manchen Graben überwinden können und dass wir in die Richtung laufen, wo die Hunde sind. Die Pferde kennen es schon, sie wissen, was sie zu tun haben.

Natürlich war es nicht von heute auf morgen möglich. Ich ritt ursprünglich mit dem Knotenhalfter und wir haben mit der Teilnahme an verschiedenen St. Hubertus- Saisonabschlußritten angefangen, danach an Schleppjagden in Böhmen und vor ungefähr zehn Jahren bin ich zum ersten Mal mit meinen Pferden, Démon und Gustav, zur Jagd nach Deutschland in Hexenagger gereist. Damals waren meine Pferde seit einem halben Jahr barhuf und in Offenstallhaltung. Zwei Jahre später habe ich auf einer Jagd in der Nähe von Berlin das Halfter abgenommen und wir haben sie nur mit Halsring vollbracht.

Es war faszinierend und hat fabelhaft funktioniert. Seitdem reite ich so meine vier Pferde. Im März kam ein weiteres Pferd dazu, eine 18-jährige  Holsteinerstute. Sie war angeblich ein Springturnierpferd. Als sie zu uns kam, vertraute sie uns nicht viel. Ich fing an, sie als Handpferd mit meinen Pferden ins Gelände zu nehmen und ab und zu bin ich auf der Straße im Schritt geritten. Natürlich mit einem Halfter. Dann haben wir ein bisschen getrabt, ich hatte das Gefühl, dass sie mir langsam vertraute. Vier Monate später machten wir einen Sechs-Tage-Wanderritt. Zum ersten Male seit sie zu uns kam, habe ich sie aufgesattelt. Und sie war hervorragend. Ich hatte kein Problem mit ihr. Jedoch wird es eine Zeit dauern, bis wir das Halfter abnehmen. Man muss beim Pferd erspüren, was man sich leisten kann, was das Pferd in der jeweiligen Situation bereit ist, für einen zu leisten. Und wenn man das Fingerspitzengefühl dafür hat und spürt es dann können Mensch und Pferd gemeinsam sehr viel erreichen.

 

Paschel: Sie waren auch schon in anderen Ländern zum Jagdreiten und  hatten die Vogelsbergmeute bei sich. Gab es da keine Irritationen?

Vydra: Ja, ich ritt mit verschiedenen Meuten, Vogelsberg, Asbach, Geiseltal”¦ Ich bin Mitglied der niederländisch – tschechischen Meute Zebraky hounds Heren Splinther van Everdingen (hervorragender Mensch sowie Reiter – leider ist er nicht mehr unter uns). Ich war auch in Irland (ich ritt ein geliehenes Pferd).

Unter den Reitern habe ich viele Bekannte und Kameraden. Was mich jedoch ziemlich frustriert, ist die Tatsache, dass ich nach allen den Jahren, wo ich ohne Zaumzeug und Barhufpferde reite, an den Fingern einer Hand diejenigen  abzählen kann, die barhuf reiten und doppelt so viele, die zwar ihre Pferde beschlagen lassen, jedoch zumindest das Eisen aus dem Maul ihrer Pferde herausgenommen haben. Ansonsten freut mich, daß ich – insbesondere in Deutschland – gewisse Bewunderung und Anerkennung dafür bekomme, wie meine Pferde mit mir zusammenarbeiten.

Immer noch steht die absolute Mehrheit der Pferde in einer Box. Ich habe viele gute Reiter auf guten Pferden kennengelernt. Es würde nur ein kleiner Schritt reichen, anzufangen, das Reiten als eine Beziehung zu verstehen und den Pferden ihr natürliches Leben zu ermöglichen. Es ist anders als das, woran wir gewöhnt waren, jedoch funktioniert es viel besser und es macht die Pferde zufriedener und gesünder und somit auch williger, ihrer Wahrnehmung zu vertrauen und zu kooperieren. Und da sind wir wieder beim Thema Empathie.

Paschel: In meinem engeren und weiteren Umfeld sehe ich überwiegend Menschen, die mit ihren Pferden im Zweikampf sind. Der Reiter wirkt auf das Pferd ein mit so genannten Hilfen, das Pferd zeigt sich widersetzlich und die Eskalation beginnt. In der Vorstellung des Reiters ist das Harmonie? – Entsetzlich.

Vydra: Das ist die Sache, weswegen ich den Wunsch fasste, ohne irgendwelche Instrumente zu reiten, die das Pferd einschränken. Wer je das Gefühl von Reiten und Harmonie auf einem vollkommen blanken Pferd erlebt, wenn man sich bloß an der Mähne hält, mit ihm redet und das Pferd ihm zuhört und beide gemeinsam durch die Landschaft laufen, der kann es sich nicht mehr wünschen, ein zusammengeschnürtes, verzweifeltes Pferd mit vor Schreck aufgerissenen Augen zu besteigen. Mindestens strebe ich nicht danach. Das Reiten müsste eine harmonische Beziehung zwischen zwei Wesen sein, die sich einander verstehen oder sich zumindest darum bemühen.

Paschel: Heinz Welz, ein bekannter deutscher Pferdeflüsterer hat mir im Interview gesagt: „Reit-„Kunst“ würde ich nur dort sehen, wo Pferde von Reitern „geformt“ werden, ohne dass Formwerkzeug notwendig wäre.“ Können Sie dieser These zustimmen?

Vydra: Wohl ja, auch wenn ich nicht so ein Reiter bin, daß ich mein Reiten Kunst nennen könnte. Ich will nicht mal die Pferde „formen“. Und ich kann es nicht mal. Aber vielleicht komme ich auch mal noch dazu. Inzwischen will ich, daß das Pferd mir entgegenkommt. Daß wir uns verständigen können. Ich will mit ihm eine Beziehung anknüpfen. Es ist möglicherweise auch deshalb so, weil ich nicht von Reiten und „Pferdeausbildung“ lebe. Ich will meine Pferde haben, die es wissen, daß sie MEINE Pferden sind und ich will mit ihnen durch mein sowie ihr Leben gemeinsam gehen. Nie würde ich sie verlassen oder verkaufen. Wir gehören zueinander. Und sie wissen, daß ich mich darum bemühe, ihnen ihr zufriedenes Pferdeleben sicherzustellen und daß wir gemeinsam viel Spaß, Vergnügung und Abenteuer erleben. Jedoch zurück zur gestellten Frage: Ich verstehe Herrn Welz und weiß, wie er es meint. Und es ist wahrscheinlich, daß er der Sache der Befreiung der Pferde von Eisen und Gewalt mehr hilft, als ich. Und das ist gut. Nur möchte ich alle. die sich auf diesen Weg begeben, auf eine Kleinigkeit hinweisen:

Beziehung! – Das ist der Schlüssel, mindestens meiner Meinung nach.

Paschel: Sie kennen sicher die Untersuchungen von Dr. Cook, dem Pioneer in der wissenschaftlichen Forschung über die gesundheitlichen Schädigungen des Pferdes durch das Gebiss. Diese sind ja jetzt schon seit über 15 Jahren bekannt. Warum werden sie in der FIE nicht konstruktiv behandelt?

Vydra: Die genannten müssten dann alles negieren, was sie lebenslang machten und vertraten. Sie müssten sagen: „Wir haben uns geirrt“. Das schaffen nur wenige. Die meisten werden lieber bis zum letzten möglichen Moment alle Forschungen sowie Argumente abstreiten und herunterspielen, die ihr tun in Frage stellen.

Paschel: Haben Sie eine Phantasie, warum nicht nur die Verbände, sondern auch viele ReiterInnen, so vehement die (nicht nur potentiellen) Folterinstrumente Gebiss/Kandare, Sporen und Gerte verteidigen?

Es wäre doch ganz einfach, die Regeln zu ändern und dem gewaltfreien Umgang mit Pferden eine Chance im Sportreiten zu geben, ohne dass dabei die Chancengleichheit tangiert würde.

Vydra: Ich würde es mir sehr wünschen, jedoch habe ich das Gefühl, daß die Menschen – die Reiter – anfangen müssen, sich dafür zu schämen, daß sie Hufeisen und Gebisse verwenden, damit sich etwas ändert. In der Reitgerte siehe ich persönlich kein großes Problem. Sie ist als verlängerter Arm oder auch Kommunikationsinstrument zu verstehen. Wir dürfen nicht vergessen, wie die Pferde selbst untereinander kommunizieren. Manchmal kommt ein Beißen oder Auskeilen sehr plötzlich und das ist ein stärkerer Schlag als der von einer Gerte. Es ist eher zu klären, wie man die Gerte anzuwenden hat, nämlich nicht als Instrument der Bestrafung.

Paschel: Die Prügelstrafe ist bekanntlich auch verboten worden in 38 Ländern der zivilisierten Welt.

Vydra: Ja und gewiss wäre es theoretisch ganz leicht, die Regeln zu ändern, aber wie würden sich diejenigen vorkommen, die mit einem aufgetrensten Pferd „kämpfen“ – das sind wahrlich sehr viele -, um dann von einem Pferd mit gebissloser Zäumung oder gar ohne Zäumung besiegt werden.

Ich bin der Meinung, daß die größte Behinderung des Fortschritts in dieser Richtung die Eitelkeit und das Ego der Leute ist, die es mal so erlernten, wie es gewöhnlich war und ist und es so lebenslang praktizieren. Darüber hinaus erziehen sie weitere Generationen von Reitern im gleichen Geist. Das ganze Bildungssystem ist so ausgelegt. Bei uns nennen mich manche sogar als abschreckendes Beispiel. Selbst auf der Tiermedizin – UNI. Man hat über mich eine Reportage drehen lassen, daß ich angeblich an den Pferden Tierquälerei betreibe… Es sprachen darin gegen mich verschiedene „Fachleute“. Natürlich alle aus dem konventionellen Establishment.

Ich persönlich sehe ein noch größeres Problem in der Hufpflege selbst als in Zäumung und Hufbeschlag.

Falls der Huf falsch oder unzureichend bearbeitet ist, kann es manchmal ein noch größeres Problem darstellen, als ein „richtig“ beschlagener Huf. Rennpferde dürfen sogar überhaupt nicht barhuf laufen. Also werden sie vor ihren zweitem Lebensjahr beschlagen.

Das ist schlimm! Es sind immerhin noch Fohlen – Kinder. Ergänzend noch, falls man es durchsetzen würde, daß unbeschlagene Pferde in Rennen laufen dürfen: wer wird es beurteilen, ob sie gesunde, oder mindestens richtig ausgeschnittene Hufe haben? Falls der Huf voll ist – die Sohle platt, verwachsen ist, rutscht das Pferd Aber möglicherweise lahmt das Pferd nicht”¦ Wer wird für die Zulassung eines solchen Pferdes zum Rennen zuständig sein? Es ist wirklich nicht einfach. Es ist das ganze System zu ändern, die Meinung über die Gesundheit der Pferde, über die Bedingungen der Aufzucht, Haltung, Trainingsweise und Hufpflegeweise. Es gibt viel davon.

Paschel: Mir scheint, dass „Eisen im Maul“ noch mehr Schädigungen bewirkt als „Eisen am Huf“ des Pferdes, wenn man das überhaupt vergleichen kann?

Vydra: Man kann es vergleichen, jedoch nach meinen Erfahrungen ist es umgekehrt. Ich bin der Meinung, daß das Eisen am Huf ein noch größeres Übel ist, als das Eisen im Pferdemaul und ich sehe es als einfacher, Leute zu überzeugen, das Gebiß wegzuwerfen, als daß sie es schaffen, den Pferden solche Bedingungen zu bieten, dass die Pferde barhuf und gesund sein können. Denn die Hufeisen abzunehmen, das ist nur der erste Schritt auf einem langen Weg.

Paschel: Die Tierärztin Hiltrud Strasser nennt das Beschlagen der Pferde „Doping mit dem Ziel, Schmerz zu unterdrücken“. Sie reiten auch barhuf. Ich nehme an, Sie stimmen ihr zu?

Vydra: Vollkommen. Dank einem ihrer Bücher, welches in dem Moment in meine Hände kam, als mir nach jahrelangen Hufbeschlag zwei Pferde „unheilbar“ erkrankten, habe ich meine Meinung zu diesem Thema geändert. Ich habe damals ihren einzigen Schüler in Tschechien ,Stanislav Blecha, aufgesucht und er brachte mich zu Patrick Spieleder, der die österreicheichische Ausbildungslizenz von Frau Dr. Straßer hatte, und schließlich habe ich auch Hiltrud Strasser kennen gelernt und ich fing an, bei ihr zu studieren und ihre Ideen, Theorie sowie praktische Fertigkeiten weiter zu verbreiten. Wir haben in Tschechien das „Institut für ganzheitliche  Pferdepflege“ gegründet, dessen Aufgabenbereich ist, Informationen zu bieten und Interessenten im Bereich der ganzheitliche Pflege der Pferde und deren Hufe auszubilden sowie Pferde derjenigen  Besitzer zu behandeln und zu rehabilitieren, welche (wie ich selbst vor Jahren) nirgendwo anders für ihre leidenden Kameraden Hilfe finden können.

Frau Dr. Strasser schätze ich hoch und bewundere sie. Sie hat es geschafft, „einen kleinen Schritt für den Menschen, dazu einen riesigen Schritt für die Pferde“ zu machen.

Paschel: In Deutschland ist ein Denken verbreitet nach dem Motto: „Was nicht verboten ist, ist erlaubt.“

Deshalb haben wir einige Forderungen zum Tierschutz an den Deutschen Bundestag gerichtet, die dort anscheinend Aufmerksamkeit bewirkt haben:

Materialeinsatz: Verbot des Gebisses beim jungen Pferd bis zum 4. Lebensjahr. Grundsätzliches Verbot von Kandare, Sperrriemen, Sporen und Hilfszügeln, die das Pferd in seiner Balance behindern. Hufbeschlag sollte nur noch bei ärztlicher Indikation erlaubt sein.

Umgang: Verbot der Hyperflexion, des Barrens oder Touchierens, wie es verharmlosend genannt wird, Elektroschocks sowie andere Trainingsmethoden, die geeignet sind das Pferd über Schmerz gefügig zu machen und die Gesundheit gefährden.

Haltung: Minimalanforderungen wie z. B. der Laufstall müssten als verbindlich vorgeschrieben werden.

Veranstaltungen: Verbot von Veranstaltungen, die gegen das Tierschutzgesetz verstoßen wie z. B. das Mächtigkeitsspringen und entsprechende private Spektakelveranstaltungen.“

Wir haben die Idee, diese auch ins Europäische Parlament zu bringen.

Hätten Sie weitere Vorschläge und halten Sie einen solchen Pferde-Frühling als Tscheche überhaupt für möglich?

Vydra: Das ist selbstverständlich wunderbar!

Man muss irgendwie anfangen. Und eine Initiative entwickeln. Mindestanforderungen würde das gegenwärtige Pferde – Mainstream akzeptieren. Etwa als Alternative.

Es ist die Frage, ob das ausreichend sein wird. Ich persönlich mag keine Verbote. Man kann sie auch leicht biegen. Wer wird kontrollieren, ob das jeweiliges Pferd  mit Gebißtrense älter als vier Jahre ist? Und warum etwa ein sechsjähriges Pferd einen zusammengeschnürten Maul und darin Eisen haben darf? Jedem lahmenden Barhufpferd verschreiben viele Tierärzte gern die Hufeisen. Und es hört auf, zu lahmen… Um was schlimmer ist ein Theaterauftritt mit einem Pferd, welcher für das Pferd nicht mal anspruchsvoll sein muss, ja eher amüsant, als Vielseitigkeitswettbewerbe oder Springturniere? Oder Rennen? Schleppjagd?

Wie wird man kontrollieren, wieviel Zeit das Pferd im Auslauf verbrachte? Sind acht, zehn Stunden viel oder wenig?

Jedoch versuchte ich mehrere Jahre lang, Leute zu überzeugen, daß sie anfangen sollten, sich ihren Pferden gegenüber anders zu benehmen und habe mir damit viele Feinde generiert. Auf der anderen Seite weiß ich von vielen Leuten, die ich inspirierte.

Immer mehr bin ich der Meinung, daß es wohl wirksamer sein wird, einfach Beispiel zu geben – Vorbild für die anderen, daß man es anders machen kann. Und sie müssen es selbst entdecken. Vorausgesetzt, sie wollen es. Aber ohne das wäre es sowieso nicht möglich. Man muss WOLLEN und dann ERREICHT man es. Falls jemand ein beschlagenes Pferd hat und es noch ohne Probleme geht und läuft – nicht lahmt, in einer Box „wohnt“ und noch atmet, nicht hustet ”¦ wie kann man den Besitzer überzeugen, daß er Fehler macht und daß er ein unglückseliges Pferd hat, dessen Gesundheit er aushöhlt? Wenn dazu noch rund um das Pferd dutzende gleich betroffene Pferde gleich gesinnter Besitzer stehen? Diese Leute glauben es noch nicht mal, daß es möglich ist, es anders zu machen. Sie glauben nicht, daß ein nicht angebundenes Pferd nicht flüchtet. daß man es ohne irgendetwas reiten kann, daß das Pferd ohne Boxen, Decken, Gamaschen und Bandagen zufrieden leben kann, daß es auch ohne Eisen laufen kann. Es ist wahrscheinlich ein langer Weg. Ich bin mir fast sicher, daß ich keine grundsätzlichen Veränderungen der Denkweise  der mehrheitlichen Reiteröffentlichkeit in meinem Leben erlebe, aber vielleicht gründet jemand eine andere reiterliche Vereinigung mit eigenen, für das Pferd besseren  Regeln und diejenigen, die die Pferde zwingen, mit Eisen im Maul sowie Eisen auf den Füssen zu laufen, werden in die finsteren Tiefen des Mittelalters verworfen. Vielleicht gelingt es jemand, trotz des Widerstandes seitens des Mainstreams, eine Schule für humanes Reiten zu eröffnen und anzufangen, neue Generationen der Reiter – Horsemen – auszubilden. Jemand wird vielleicht an der Universität für Veterinärmedizin erneut den Unterricht von Huforthopädie und ganzheitliche Pferdepflege  (und nicht nur für Pferde) durchsetzen und vielleicht wird jemand die Verschanzung der Hufschmiedelobby durchbrechen und es gelingt ihm, den Unterricht von Barhufpflege offiziell zu machen.

Wären die Pferde Aquarienfische, hätte man die Probleme längst behandelt. Ein Fisch ohne die notwendige Umwelt und Pflege (genügend großes Aquarium, sauberes Wasser, Sand, Pflanzen. Erwärmung, Beleuchtung, Luftstrom”¦) krepiert sehr schnell. Das Pferd, zu seinem Nachteil, hält falsche Lebensbedingungen und falsche Pflege viel länger aus. Manchmal länger, als es im Interesse des Besitzers ist.

Trotz alledem glaube ich jedoch, daß sich für die Pferde eine bessere Zeit verkündet. Dank Namen wie Strasser, Cook, Roberts, Dorrance, Hempfling, Pignon’s, Lorenzo und vielen anderen.

Paschel: Das ist ein „optimistisches“ Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch!

 

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Weiterführende Literatur:

http://www.vaclavvydra.cz/

http://www.berndpaschel.de/VACLAV.pdf

Fotostrecke: http://foto.osobnosti.cz/vaclav-vydra-562337