Weidenberg, Deutschland (Salon Phiöosophique). Prof. Dr. Franz Mühlbauer (geb. 1950), war 30 Jahre Professor für Marktlehre, Marketing und Verkauf an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Im Ruhestand (seit 2015) betreibt er eine freiberufliche Praxis für Heilhypnose und Reinkarnationstherapie und ist in der Hospizarbeit als Sterbebegleiter tätig, leitet Letzte-Hilfe-Kurse und hält Vorträge über die Hospizarbeit und über eine alternative gemeinwohlorientierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Das Interview
Paschel: Lieber Herr Mühlbauer, können sie als Marketingexperte und Sozialwissenschaftler schon jetzt sagen, was nach der Corona-Krise sein wird?
Mühlbauer: Jetzt ist die Zeit für eine radikale wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Wende!
Paschel: Ist das die wahre Revolution, nachdem die erste gescheitert ist?
Mühlbauer: Meiner Überzeugung nach geschieht nichts einfach nur so. Alles hat seinen tieferen Sinn und seine höhere Bedeutung. Wir sind keinem blinden Schicksal oder Zufall ausgeliefert. All das, was uns jeden Tag widerfährt, will uns etwas sagen. Dies gilt im Kleinen wie auch jetzt in der Krise im Großen. Das Prinzip der Viren, so sagen die Virologen, besteht darin auf Kosten anderer zu leben. In diesem Sinn hält der Corona-Virus der Menschheit einen Spiegel vor. Da der Virus die ganze Welt überzieht, will er uns klar machen, dass wir seit über 100 Jahren unseren Planten rücksichtslos ausplündern, auf „seine Kosten leben“. Die letzte Ursache dieses Ausplünderns sehe ich v.a. in der hemmungslosen Profitgier der globalen Konzerne. Somit wurde auch die Corona-Krise aus der Profitgier der Konzerne geboren. Nur durch die hemmungslose Globalisierung konnte sie sich in kurzer Zeit über die ganze Welt ausbreiten. Globalisierung beutetet im Kern: Rohstoffe und Endprodukte dort einkaufen, wo sie am billigsten und auch da produzieren lassen, wo die Löhne am niedrigsten sind. Und genau das ist der Weg, der uns in das Corona-Verhängnis geführt hat.
Paschel: Aha, also in gewisser Weise liege ich richtig.
Mühlbauer: Ja und das Ausplündern hat jedoch auch noch andere Facetten. Diese äußern sich darin, wie wir Menschen miteinander umgehen. Viele leben auf Kosten anderer, sie nutzen sie aus, übervorteilen sie, wenden subtile oder brutale physische Gewalt an. Das Gleiche geschieht im kapitalistischen System: Die Superreichen sind deshalb superreich, weil sie auf Kosten der Armen leben. Dies wusste schon Bischof Ambrosius von Mailand 300 n. Chr.: „Es ist nicht Dein Gut, was Du besitzest; Du hast es nur den Armen genommen!“ Die Politiker appellieren seit Beginn der Krise in Deutschland an die Solidarität aller. Wo bleibt die Solidarität der Superreichen? Auch sie könnten sich jetzt solidarisch zeigen, indem sie einige ihrer Milliarden oder Zig Millionen für die Unterstützung von Kleinunternehmen, Selbständigen und von ähnlichen Gruppen zur Verfügung stellen – Fehlanzeige!
Paschel: Die soziale Marktwirtschaft ist damit aber nicht umfassend beschrieben!
Mühlbauer: Das stimmt, die Corona-Krise zeigt uns, welche Bereiche unserer Wirtschaft wirklich systemrelevant sind. Da sind zunächst die Unternehmen des Gesundheitssektors, v.a. die Kliniken, zu nennen, von denen die allermeisten privatisiert wurden. Unter der Zielsetzung der Gemeinwohl-Optimierung sollten alle Kliniken wieder unter staatliche Obhut gebracht, also verstaatlicht werden. Das würde, als zusätzlicher Vorteil, auch die Kosten des Gesundheitswesens in diesem Bereich deutlich senken, weil z.B. all diejenigen Behandlungen, v.a. viele Operationen unterblieben, die nur aus Gewinnmotiven gemacht werden. Auch können die interne Organisation der Krankenhäuser im Krisenfall durch die Gesundheitsbehörden unmittelbarer gesteuert werden. Auch Alters- und Pflegeheime sind zu reprivatisieren. Ihr Schwerpunkt liegt in der optimalen Dienstleistung, nicht in der Erzielung von Gewinnen.
Paschel: Ändert das etwas an der prekären Situation der Arbeitskräfte in diesen Bereichen?
Mühlbauer: Was in diesem Bereich unbedingt dazugehört, ist eine Aufstockung der Gehälter der Pflegekräfte in Klinken sowie Alters- und Pflegeheimen sowie verwandten Sektoren wie z.B. bei mobilen Pflegediensten. Diese Berufe, so zeigt uns die Krise, sind wirklich wesentlich für das Funktionieren des Gemeinwesens. Die Managerposten zählen hier nicht dazu. Deren Entlohnung muss zwingend an das Niveau der allgemeinen Arbeitnehmerentgelte angepasst werden. Auch andere Berufsgruppen wie ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen, Rettungsdienste und einige mehr müssen deutlich besser als bisher entlohnt werden, weil sie es sind, die direkt Dienst am Menschen tun – der Mensch muss auf jeden Fall wichtiger sein als das Managen von Unternehmen oder die Handhabung von technischen Geräten und Anlagen – in diesen letztgenannten Bereichen liegen die Löhne und Gehälter extrem viel höher als in den vorhin genannten Sektionen, worin sich die jetzige verquere gesellschaftliche Wertschöpfung widerspiegelt. Die Aufstockung der Gehälter von Pflegekräften und der Beschäftigten den eben genannten Sparten muss sich deshalb in einem Mehrfachen der bisherigen Bezahlung bewegen; einmalige Prämien reichen da bei weitem nicht aus.
Paschel: Müssten nicht noch andere Bereiche verstaatlicht werden, voran die Pharmakonzerne?
Mühlbauer: Auch die Pharmaindustrie als zweiter wichtiger Pfeiler des Gesundheitssystems sollte verstaatlicht werden. Es geht nicht an, dass die Pharmariesen nur noch die Medikamente produzieren, die den größten Profit abwerfen, was mittlerweile Usus geworden ist. Hinsichtlich des gesundheitsbezogenen Gemeinwohlaspekts muss dieses Verhalten als extrem kaltschnäuzig bewertet werden.
Paschel: Da stimme ich ihnen zu und finde „kaltschnäuzig“ sogar noch etwas wohlwollend.
Mühlbauer: Als nächstes sind auch die Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft, v.a. die Lebensmittelverarbeitung als systemrelevant zu betrachten. Ihnen ist kraft staatlicher Vorgabe aufzuerlegen, dass bei der Produktion ein Mindestanteil von 70 bis 80 % aus inländischen Rohstoffen stammen muss, um im Krisenfall die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Darüber hinaus sollten v.a. im ländlichen Bereich die regionalen Wirtschaftskreisläufe im Ernährungssektor staatlich viel stärker gefördert werden. Landwirtschaft, Agrarhandel, Lebensmittelhandwerk und Dorfläden als Player dieser Kreisläufe sind für die Sicherstellung der Ernährung im ländlichen Bereich prädestiniert. Aus all diesen Gründen ist genau jetzt die Zeit, unser Wirtschaftssystem radikal zu verändern, weg vom derzeitigen neo-darwinistischen Neo-Frühkapitalismus, hin zu einer gemeinwohlorientierten Wirtschaftsverfassung. Jetzt ist die Zeit der Entscheidung für die neue Wirtschaftsordnung. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Paschel: Vielen Dank, diese Frage hätte ich jetzt auch gestellt.
Mühlbauer: Natürlich braucht es für einen schrittweisen Wandel vom alten zum neuen System ein Konzept, dessen Umsetzung eher langfristig für einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren angelegt sein muss. An zwei Beispielen soll dieser schrittweise Wandel konkretisiert werden:
- Deutschland muss sich zumindest teilweise aus der Globalisierung lösen, wie dies exemplarisch für die Lebensmittelversorgung schon angesprochen wurde.
- Einige Industriesparten sind durch staatliche Eingriffe umzustrukturieren – z.B. Rückbau der Autoindustrie und dafür Ausbau umweltfreundlicher Industrien, z.B. im Energiebereich. Dieser Prozess erfordert zwangsläufig Umschulungsmaßnahmen von Beschäftigten in großem Stil.
Paschel: Das heißt, wir müssen lernen, dass Wachstum und Wohlstand an seine Grenzen kommt?
Mühlbauer: Sicherlich wird dieser Wandlungsprozess einen Rückgang des materiellen Wohlstandsniveaus mit sich bringen. Dies betrifft vor allem den Luxuskonsum, z.B. häufige Urlaubsfernreisen oder das Fahren von 600-PS-SUV´s. Dieses Weniger an Luxuskonsum bedeutet aber ein Mehr für den Umweltschutz und damit ein Mehr für die Lebensqualität der Allgemeinheit.
Diese wenigen Argumente sollen genügen, durch politischen Druck von unten die Entscheidung für die Einführung einer neuen gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung herbeizuführen. Und nun kommt der Dreh- und Angelpunkt: Alle gesellschaftskritischen Gruppen und Einzelpersonen müssen ihre Anstrengungen und ihre vielfältigen Aktivitäten auf dieses eine ökonomische Ziel hin bündeln, nur dann besteht Aussicht auf Erfolg. Konkret heißt das z.B.: Der Bund Naturschutz darf und soll weiterhin für das originäre Ziel Naturschutz kämpfen, er soll aber genau so intensiv für ein neues gemeinwohlorientiertes Wirtschaftssystem eintreten. Nicht nur die beschädigte Natur, alle Megaprobleme in unserer Gesellschaft, alle Grausamkeiten haben eine gemeinsame Wurzel, den profitgeilen Wirtschaftsdarwinismus.
Paschel: Ja, das denke ich auch und ich hoffe, dass die Corona-Krise in diesem Sinne auch positiv ein neues Bewußtsein erzeugen könnte im Angesicht der Klima-Krise, die Corona überleben wird. Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.
Weiterführende Informationen: http://www.rueckfuehrung-hypnose.de/
Der Beitrag wurde erstveröffentlicht bei Weltexpress.info am 24.April 2020