Grausamkeiten haben eine gemeinsame Wurzel! – Prof. Dr. Franz Mühlbauer zu höheren Fleischpreisen und Tierwohllabels

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Professor Dr. Freanz Mühlbauer, © Mühlbauer

Berlin, Deutschland (Salon Philosophique). Prof. Dr. Franz Mühlbauer lehrte 30 Jahre lang die Bereiche Agrar- und Lebensmittelmärkte und Marketing an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Im Interview erklärt er, warum höhere Fleischpreise kein wirksames Mittel gegen die Grausamkeiten in der industriellen Tierhaltung sind, was er von freiwilligen Vereinbarungen und Tierwohllabels hält und was passieren würde, wenn sich ein Großteil der Bevölkerung vegetarisch ernähren würde. Wirkliche Verbesserungen kann es seiner Meinung nach nur über eine radikale Wende hin zu einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschaftsordnung geben.

Das Interview

Vollertsen-Diewerge: Herr Prof. Mühlbauer, kürzlich haben die Bauern massiv gegen Billigfleisch demonstriert. Würden Preiserhöhungen Ihrer Meinung dazu beitragen, dass die Tierhaltung sich wesentlich verbessert?

Mühlbauer: Preiserhöhungen werden überhaupt nichts dazu beitragen, dass die Grausamkeiten in der industriellen Tierhaltung abnehmen. Sie bewirken nur, dass der Lebensmittelhandel als wichtigster Fleischverkäufer – Metzger spielen bei Frischfleisch kaum noch eine Rolle – sowie die Schlacht- und Zerlege- Industrie noch höhere Gewinne machen als bisher. Bei den Bauern würde von Preiserhöhungen, wenn überhaupt, nur ein verschwindend kleiner Anteil ankommen. Leider haben die Landwirte dies nicht verstanden; sie fungieren, wie Lenin sagen würde, für die oben genannten Unternehmen als „nützliche Idioten

Ledermann: Der Professor für Wirtschaftsstrafrecht Jens Bülte hat die Strafverfolgung bei Tierschutzfällen in den vergangenen 40 Jahren ausgewertet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Tierquälerei in großem Stil nicht angemessen oder gar nicht bestraft wird und spricht von der „faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität“. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Mühlbauer: Die Ergebnisse der Auswertung des Kollegen Bülte kann ich nur bestätigen. Ein Grund besteht in der viel zu geringen Kontrolldichte. Tierhaltungsbetriebe werden oft jahrzehntelang nicht kontrolliert. Weiterhin bestehen gerade in ländlichen Gebieten oft direkte persönliche Beziehungen zwischen Tierhaltern und den Personen, die für die Kontrollen zuständig sind. Letztere verschließen wegen dieser Kumpanei oft die Augen vor den Missständen.

Ledermann: Nachdem Ministerin Klöckner das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration immer wieder hinausschiebt, versucht sie aktuell, die Haltung von Säuen in Kastenständen zu legalisieren. Riskiert eine solche Regierung nicht, den Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren?

Mühlbauer: Frau Klöckner hat den Rückhalt bereits verloren. Sie präsentiert sich bislang ausschließlich als wackere Lobbyistin der Bauernverbände und der Lebensmittel-Großindustrie, wie ihr Auftritt mit Nestle gezeigt hat. Auch ihre Vorgänger in diesem Amt verstanden sich primär als Lobbyisten – bis auf eine Ausnahme: Renate Künast. Sie hat schnell den Beinamen „Schrecken der Landwirte“ bekommen.

Ledermann: Berlin hat Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um die tierquälerische legale Schweinehaltung auf den Prüfstand zu stellen. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Mühlbauer: Die Klage der Berliner Landesregierung zeigt, dass wenigstensin Teilen der Politik eingesehen wurde, dass bei der tierquälerischen industriellen Schweinehaltung Handlungsbedarf besteht. Das Vorhaben ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch wenn die Klage Erfolg haben sollte, werden die Lobbyisten der Tierhaltung in Großbeständen, im Verbund mit den ihnen hörigen Politikern, alles tun, um grundlegende Verbesserungen zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern.

Ledermann: Was denken Sie über die Ergebnisse des „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“, die Klöckner am 11. Februar 2020 vorgestellt hat?

Mühlbauer: Aus Platzgründen gehe ich nur auf die Vorschläge ein, die die Tierschutzthematik bei Nutztieren direkt betreffen. Da wäre zunächst die dreistufige freiwillige Kennzeichnung für die wichtigsten Bereiche der Nutztierhaltung. Die Freiwilligkeit bedingt bereits als solche, dass diese Kennzeichnung von der Praxis nicht umgesetzt wird. Die Tierhalter ändern freiwillig nur dann die Haltungsbedingungen der Tiere, wenn die Änderung entweder eine Kosteneinsparung – mit der Folge noch schlechterer Haltungsbedingungen – oder eine Gewinnsteigerung mit sich bringt. Beides trifft nicht zu. Auch eine Verbrauchssteuer wird an den tierwidrigen Haltungsbedingungen nichts ändern. 40 Cent pro kg Fleisch bedeutet, dass eine normale Fleischportion von 200 g gerade mal um 8 Cent teurer würde. Das wird die Verbrauchergruppe von 70 bis 80 Prozent der Verbraucherschaft, die gierig auf billiges Fleisch ist, sicher nicht zu einer Reduzierung ihres Fleischverzehrs veranlassen. Eine echte Verbesserung des Tierwohls bei Nutztieren lässt sich nur durch strenge staatliche Vorgaben erreichen, die direkt an den Haltungsbedingungen ansetzen. Diese neuen gesetzlichen Vorgaben lassen sich aber viel besser in einer alternativen Wirtschaftsordnung realisieren.

Ledermann: Könnten Sie konkretisieren, was Sie mit „einer alternativen Wirtschaftsordnung“ meinen?

Mühlbauer: Mein Ansatz bezieht alle Missstände der industriellen Tierhaltung mit ein: Ich rufe alle Tierschutzverbände und Tierrechtsparteien auf, nicht nur ihre unmittelbaren Ziele des Tierschutzes in den Mittelpunkt ihrer Aktionen zu stellen, sondern – und das ist entscheidend – gleichrangig die Forderung nach einer neuen gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung. Denn alle Grausamkeiten in der industriellen Tierhaltung haben eine gemeinsame Wurzel, nämlich die Profitgier der Großunternehmen, nicht nur in der Tierhaltung, sondern auch in der Schlachtstufe bis hin zum Fleischhandel. Dieser Profitsucht wird alles in Wirtschaft und Gesellschaft untergeordnet. Und dieses Grundübel gilt es an der Wurzel zu packen. Noch so viele Demonstrationen und Aktionen der Tierschutzverbände ändern nichts oder nur wenig an den tierquälerischen Verhältnissen, solange den raffgierigen Bossen und willfährigen Politikern mit der Forderung nach der neuen gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung nicht Dampf unter dem Hintern gemacht wird.

Ledermann: Das ist ein hehres Ziel und bedeutet letztlich eine Abkehr vom marktwirtschaftlich-kapitalistischen System. Doch wie kann eine gemeinwohlorientierte Wirtschaftsordnung erreicht werden?

Mühlbauer: Für die Etablierung einer neuen gemeinwohlorientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung reicht es sicher nicht, wenn nur die Tierschutzorganisationen diese neue Ordnung auf ihre Fahnen schreiben. Deshalb rufe ich hier und jetzt alle gesellschaftskritischen Organisationen wie Fridays für Future, Greenpeace, Foodwatch und sonstigen Nichtregierungsorganisationen auf, analog zu den Tierrechtsvereinigungen die neue Wirtschaftsordnung zusätzlich zu ihren unmittelbaren Zielen in ihre Aktivitäten mit einzubeziehen. Denn nicht nur die Missstände in der Versuchs- und Nutztierhaltung, sondern auch die übrigen Megaprobleme in unserer Gesellschaft wie Klima- und Umweltschutz, bezahlbarer Wohnraum und einige andere mehr, gehen auf die Profitsucht der Konzerne und des nicht weniger gierigen Finanzmarktkapitalismus zurück.

Ledermann: Die industrielle Tierhaltung befeuert den Klimawandel. Die Bundesregierung hat bisher jedoch keine Maßnahmen genannt, um die Landwirtschaft beim Klimaschutz in die Pflicht zu nehmen. Was muss passieren, um dies grundlegend zu ändern?

Mühlbauer: Die Bundesregierung, insbesondere die Agrarministerin, müsste ihre lobbyhörige Haltung aufgeben und der Landwirtschaft strengere Umweltauflagen machen. Aber auch jetzt zeigt sich, wenn die Landwirte gegen die von der Sache her durchaus angebrachte strengere Düngeverordnung protestieren, wie schnell die Ministerin einknickt. Wenn sie vor konventionell wirtschaftenden Landwirten spricht, erzählt sie diesen, was sie gerne hören. Hat sie Ökobauern vor sich, erzählt sie genau das Gegenteil. Was dringend notwendig wäre, die einheitlichen EU-Flächenprämien abzuschaffen und nur denjenigen Landwirten eine Prämie zuzugestehen, die echte Umweltleistungen auch im Klimaschutz erbringen. Die jetzige Bundesregierung denkt jedoch nicht im Traum daran, sich bei der EU für eine solche Änderung des Beihilferechts einzusetzen.

Ledermann: Wozu würden Sie einem Landwirt raten, der überlegt, seine bisherige intensive Tierhaltung umzustellen?

Mühlbauer: Ich würde ihm raten, auf eine ökologische Wirtschaftsweise umzustellen, und zwar nach den Richtlinien eines deutschen Ökoverbands, z. B. des Demeterbunds. Die Umstellung entsprechend der EU-Ökorichtlinie führt zu keinem echten Ökolandbau, weil diese ausgesprochen lasch sind.

Ledermann: Tierrechtsverbände wie „Menschen für Tierrechte“ fordern einen Paradigmenwechsel von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion. Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein?

Mühlbauer: Meines Erachtens wäre es gar nicht notwendig, den Tisch mit Algen- und Insektengerichten zu decken. Wenn ein Großteil der Bevölkerung zu einer vegetarischen Ernährung fände, würden im großen Maß Futterflächen frei. Tierhaltungszweige, die ausschließlich der Fleischproduktion dienen, also Schweine, Mastgeflügel sowie Schlachtbullen und -färsen, würden stark an Bedeutung verlieren. Diese so freigewordenen Flächen stünden dann für die Erzeugung von pflanzlichen Lebensmitteln, beispielsweise Freilandgemüse zur Verfügung. Und der Gesundheit der Verbraucher käme die Umstellung auf eine vegetarische Ernährung ohnehin zugute.

Anmerkungen:

Das Interview führten Margrit Vollertsen-Diewerge und Christina Ledermann vom Verein Menschen für Tierrechte. Die Erstveröffentlichung des Interviews erfolgte im Magazin „Tierrechte“, Nummer 1/2020.