Wies, Schwarzwald, Deutschland (Salon Philosophique). Judith Biedermann wohnt im Kleinen Wiesental im Südschwarzwald, wo sie und ihr Lebenspartner Thomas Dorant den Wunsch nach Selbstversorgung ein Stück weit verwirklichen konnten.
Hier fanden sie genügend Platz für ihre Tiere und ihre Ideen. Sie gründeten eine kleine Landwirtschaft im Nebenerwerb und halten vor allem alte Haustierrassen wie das Coburger Fuchsschaf und das Sundheimer Huhn. Bei der Verarbeitung ihrer Produkte und Lebensmittel achten sie auf Ressourcenschonung, biologische Futtermittel und verzichten wo immer es möglich, sinnvoll und machbar ist, auf maschinelle Hilfsmittel. Umweltschutz und die Nutzung regionaler Möglichkeiten stehen im Vordergrund, ihr Antrieb ist die Liebe zur Natur und die Selbstbestimmung vor allem bei der Erzeugung tierischer Lebensmittel.
Der Friesenmix Chiko hat im Kleinen Wiesental ein neues Zuhause gefunden
Was macht der Mensch mit einem solchen Mischling?
Schon schnell zeigte sich, dass der Wallach mit dem etwas zu dicken Kopf und der breiten Brust sehr vielseitig war. Die erhabenen Bewegungen des Friesen, eine sehr gute Sprungfähigkeit (bis ca. 1,20 m) und eine gesunde Ausdauerfähigkeit prädestinierten ihn für die Vielseitigkeit. Sein äußeres Erscheinungsbild (Exterior) ließ allerdings ein Pferd für Kinderreiten und Kutsche erahnen, was auch zu seinem Repertoire gehörte. Er konnte alles, aber nirgendwo reichte es zur Spitze. Selbst als Distanzpferd – damals noch als Giacomo – machte er den Vollblutarabern das Leben schwer und belegte bei den Hessischen Landesmeisterschaften auf 120 km den dritten Platz, wurde aber nach der letzten Kontrolle disqualifiziert und landete wegen totaler Erschöpfung in der Klinik. Die damalige Besitzerin war vielleicht etwas zu ehrgeizig.
Mit 10 Jahren wechselte er den Besitzer. Dieser war viel mit einer steinharten Jagdreiterin mit 4 Vollblütern unterwegs, die das Motto hat:
Auch diese Jahre überstand der Friesenmix bei bester Gesundheit bis sein Besitzer gesundheitlich- und altersbedingt einen Gang herunter schalten musste zur Freude von Chiko, der jetzt seinen Besitzer schon von Weitem freudig begrüßte, weil er bei jedem gemütlichen Ausritt eine Wiese ansteuern durfte als Belohnung dafür, dass er seinen Reiter trug. Da er ohnehin ohne Gebiss geritten wurde, war das Grasen kein Problem.
Jetzt im besten Pferdealter musste Chiko noch einmal in seinem Leben einen Ortswechsel vornehmen, weil das Pferdeparadies trotz aller Unkenrufe im Diesseits möglich ist:
Fünf große Weiden mit insgesamt 4,5 ha Fläche, teils in Hanglage, mit Baumbewuchs und natürlichem Bachlauf und im Winter ein großer Offenstall mit Blick ins Tal, dieses Pferdeparadies befindet sich im Kleinen Wiesental im Schwarzwald, wo Chiko 2 neue Freunde gefunden hat.
Die Trennung vom eigenen Pferd ist eine große Überwindung. Das kennen vor allen Dingen Reiterinnen, die die Entscheidung treffen müssen, wenn ihr Pferd eingeschläfert werden muss. Ein Pferd in gute Hände geben, kann den Verlust deutlich mindern.
Das Interview
Paschel: Liebe Judith, wie du mir gesagt hast, wendest du dich jetzt wieder mehr den Pferden zu, nachdem du über 10 Jahre kein eigenes Pferd hattest und Billy anfang des Jahres bei dir eingezogen ist. Da du deine Magisterarbeit in der Sportwissenschaft über „Das Pferdebild des Menschen – Die Vermenschlichung des Pferdes im Reitsport“ geschrieben hast, ist das ein nahe liegender Schritt, denn Du hast aus meiner Sicht auch ein besonders gutes Händchen im Umgang mit Pferden und Tieren.
Wie ich mich aus deiner Zeit in Frankfurt erinnern kann, hattest du damals schon einen kleinen Ponyhof in Frankfurt-Kalbach und viel Erfahrung im Umgang mit Pferden.
Biedermann: Ja, dort hatte ich 2005 zusammen mit einer guten Freundin einen Norweger-Haflinger-Mix, der in einem kleinen Selbstversorger-Offenstall mit 3 anderen Pferden stand. Dort haben wir therapeutisches Reiten und Kinderreiten angeboten.
Durch meine Magisterarbeit 2008 habe ich mich mit diversen Aussagen aus der damaligen Reitsportliteratur über das Pferd beschäftigt und festgestellt, dass diese größtenteils auf einer mechanistischen Sicht basieren, d.h. das Pferd wird als Sportgerät gesehen, das zu funktionieren hat oder als Untergebener, der zu Gehorsam erzogen werden muss. Zum einen kommt diese Sicht sicherlich aus dem Militärreiten, dass die Grundlage des Reitsports in Deutschland bildet, zum anderen geht es uns Menschen vielleicht teilweise ebenso, dass wir das Gefühl haben in unserer Gesellschaft funktionieren zu müssen und wir dies auf das Pferd unbewusst übertragen. Das grundsätzliche Problem besteht meiner Meinung nach darin, dass wir uns nicht wirklich in die Pferde hineinversetzen können, da in unserer Genetik ein Jäger bzw. Beutegreifer steckt und das Pferd als Beutetier völlig anders denkt und sich dementsprechend verhält. Selbst wenn wir sie intensiv beobachten und ihr Verhalten imitieren, wie das im Natural Horsemanship geschieht, werden wir für sie nie ein Artgenosse sein.
Nach meinem Umzug in den Schwarzwald 2013 entschloss ich mich, nur noch dann ein Pferd zu besitzen, wenn ich eine extensive, pferdegerechte Weidehaltung mit Offenstall im Winter bieten kann. Das Pferd sollte leben, wie es von der Natur her geschaffen ist, Tag und Nacht draußen, in der Herde, ohne Eisen an den Hufen und im Maul und ohne eingedeckt zu werden. Viele gängige Produkte und Utensilien, die es auf dem Pferdemarkt zu kaufen gibt, dienen eigentlich nur dem Geldbeutel des Herstellers oder dem Ego des Pferdebesitzers, aber nicht dem Pferd. Mein Verständnis von „Natural“ in Natural Horsemanship beschränkt sich nicht nur auf das Erlernen der Pferdesprache, sondern auch auf die Frage, was brauchen mein Pferd und ich wirklich. Das betrifft nicht nur das Equipement, sondern die Trainingsmethoden. Im Grunde genommen geht es für mich um zwei wichtige Aspekte im Umgang mit Pferden: 1. wie bekomme ich ein sicheres Pferd und 2. wie erhalte ich die Gesundheit meines Pferdes (physisch wie psychisch). Ich mache sicherlich auch nicht alles perfekt, aber ich arbeite daran und denke, dass ich Billy und Chiko ein artgerechtes Leben bieten kann.
Paschel: Eine Katze fehlt mir noch bei euch oder habe ich die übersehen?
Biedermann: Nein, eine Katze haben wir nicht, den Job des Mäusefangens übernehmen bei uns die Nachbarkatzen.
Paschel: Die artgerechte Haltung von Tieren wird mir auch immer wichtiger, nicht nur bei den Pferden. Bei diversen anderen Tieren ist das Problem die Massentierhaltung, bei den Pferden ist es die Einzeltierhaltung in Boxen. Chiko war zum Schluss zwar nicht mehr in einer Box, aber im Offenstall mit 6-stündiger Koppel, die für 12 Pferde viel zu klein war mit ca. 1/2 HA. Ist er jetzt gut bei dir angekommen?
Biedermann: Ja, ich denke schon. Die Zusammenführung der Pferde hat sehr gut geklappt und ich habe Chiko erstmal viel Zeit gelassen, um sich einzuleben. Da ich Chiko ja noch aus meiner Zeit in Frankfurt kannte, wusste ich, dass das mit den anderen beiden Pferden gut funktionieren wird. Ich denke, die erste Zeit hatte er ordentlich Muskelkater, da er die Hanglage der Weide erstmal nicht gewohnt war. Mittlerweile ist er sehr geschickt was das bergauf -und bergablaufen betrifft und hat an Muskulatur zugelegt.
Seitdem ich im Schwarzwald lebe, habe ich privat und beruflich mit biologischer Landwirtschaft zu tun und die artgerechte Haltung von (Nutz-)Tieren spielt für mich eine sehr wichtige Rolle. Hier habe ich zum ersten mal erlebt, wie Rinder rennen und buckeln und sich ihres Lebens freuen, wenn sie das erste mal im Frühjahr auf die Weiden kommen. Mich schmerzt die Vorstellung, dass es Rinder gibt, die noch nie eine Weide gesehen haben, kaum zu schweigen von den Haltungsbedingungen von Tieren, die in anderen Ländern gehalten werden, deren Fleisch in Deutschland konsumiert wird. Mittlerweile gibt es für Nutztiere diverse Tierschutz- bzw. Biosiegel, die Auskunft über Haltung und Herkunft geben und ich frage mich, ob das nicht auch Sinn für die Pferdehaltung machen würde und zwar verbandsübergreifend. Als Grundlage sollten jedoch nicht die Ansichten der Reitprofis zugrunde liegen, sondern die von Menschen, die sich intensiv mit Wildpferden beschäftigt haben.
Paschel: Kannst du ein wenig dein Pferdemanagement beschreiben?
Biedermann: Gern, die drei Pferde stehen während der Weidesaison Tag und Nacht auf insgesamt 4,5 Ha Weidefläche, verteilt auf 5 Koppeln. Alle Weiden liegen teils in Hanglage und verfügen über einen Baumbestand und Zugang zu Wasser. Eine Weide hat eine eigene Quelle und durch zwei Koppeln fließt ein Bach. So haben die Pferde nicht nur Wasser zum Trinken, sondern können auch mit den Hufen ins Wasser gehen. Zusätzlich gibt es einen Salzleckstein und sie bekommen von mir Mineralfutter und die ein oder andere Möhre natürlich.
Bei dieser extensiven Beweidung ist es unnötig die Weiden abzuäppeln, da die Pferdeäppel als guter Naturdünger für die Wiesen dienen und die Erkrankung mit Parasiten bei dem Verhältnis von Tier zu Fläche sehr gering ist.
Wurmkuren gibt es bei unseren Tieren nicht prophylaktisch, dafür schicken wir regelmäßig Kotproben in ein veterinärmedizinisches Labor zur Untersuchung. Entwurmt wird dann nur im Bedarfsfall und speziell gegen den vorhandenen Parasit. Wenn Tiere ein gutes Immunsystem haben, artgerecht in Robusthaltung mit ausreichend Fläche gehalten werden und sich ihr Futter selektiv suchen können, sind Wurmkuren größtenteils überflüssig. Im Winter sind die Pferde in einem Offenstall mit Unterstand und Blick ins Tal und bekommen Heu ad libitum. Auch hier konnte ich beobachten, dass die Pferde nicht nonstop am Fressen sind, wenn sie permanent Heu zur Verfügung haben, sondern sie hier auch immer wieder lange Fresspausen einlegen. Vorbild für mein Pferdemanagement ist Dr. Maksida Vogt mit ihrer Academia Liberti.
Paschel: Du reitest ja schon lange ohne Gebiss und barhuf. Beim Huf hast du hoffentlich eine kompetente Hilfe.
Biederman: Ja, glücklicherweise wohnt im Dorf die Huforthopädin Nadine Waschewski, die regelmäßig nach Billys und Chikos Hufen schaut und sie bearbeitet. Ich bin sehr zufrieden mit ihrer Arbeit und sehr froh, dass sie uns trotz voller Kundenkartei noch aufgenommen hat.
Paschel: Aus meiner unmaßgeblichen Einschätzung sehen die Hufe sehr gut aus!
Biedermann: Dein Urteil als Hufexperte freut mich natürlich. Die Hufbearbeitung ist ein spannendes und wichtiges Thema für die Erhaltung der Pferdegesundheit, da die Hufe einen erheblichen Anteil daran haben. Meiner Meinung nach wird das Thema der Hufbearbeitung zu oft unterschätzt. Ich würde jedem Pferdehalter empfehlen, sich eingängig mit der Funktion und Mechanik der Pferdehufe zu beschäftigen, anstatt alles unhinterfragt machen zu lassen.
Paschel: Jetzt nach gut 2 Monaten kann man sehen, dass deine Pferdewohngemeinschaft sich gefunden hat.
Biedermann: Ja. das stimmt. Besonders Billy und Chiko haben schon eine enge Bindung, aber auch Omega ist mittlerweile sehr entspannt. Der Besitzer von Omega, ein ortsansässiger Landwirt, hatte früher eine Araberzucht hier in Wies und ist ein kompetenter Pferdemensch mit langjähriger Erfahrung. Er weiß, wann der richtige Zeitpunkt für den ersten Weidegang im Jahr ist und er macht das Heu für die drei Pferde.
Ich bin sehr zufrieden, wie sich das Pferdejahr entwickelt hat, trotz dem auch ich mir ab und zu Kritik von Reitsportlern zu meiner Haltungsform anhören muss. Für manche ist es unvorstellbar, dass Pferde Tag und Nacht auf der Weide stehen und sich dabei wohl „den Bauch voll schlagen“. Das tun sie aber nicht. Ich habe die Beobachtung gemacht, dass meine Pferde, wenn sie immer Nahrung zur Verfügung haben, sehr selektiv Nahrung aufnehmen und tagsüber immer wieder lange Fresspausen einlegen, um zu dösen, zudem ist der Zeitpunkt des Weideauftriebs wichtig. Da die Weiden auf 600-700m Höhe liegen, sind sie eher mager und kräuterreich und nicht zu vergleichen mit den üblichen Fettweiden im Flachland.
Paschel: Wie ich jetzt beim Besuch zu Deinem 40. Geburtstag bei der Feier natürlich mit Corona-Regeln in der Wieser Feuerwehr-Hütte am Berg feststellen konnte, seid Ihr in Wies anscheinend schon gut integriert. Als Stadtmensch frage ich mich, wie das möglich ist.
Biedermann: Ich habe früher meine Ferien oft bei meiner Oma in einem kleinen Dorf in Nordhessen verbracht. Vielleicht fiel es mir deshalb nicht schwer hier in einem Dorf anzuknüpfen, da ich das Leben „im Kleinen“ schon kannte. Ich wurde nach meinem Umzug aufs Land von Frankfurter Freunden gefragt, ob ich mich nicht einsam fühlen würde in so einem kleinen Dorf mit knapp 260 Einwohnern. Ich erwiderte darauf, dass es oft Zeiten gab, da habe ich mich mitten in Frankfurt einsamer gefühlt als hier. Wir haben hier einen tollen Freundeskreis und die Lebensqualität ist sehr hoch, da wir mitten in der Natur sind. Das typische „Landleben“ hat jedoch wenig mit der idyllischen Darstellungen aus den Zeitschriften Landlust und Co. zu tun. Diese sind teilweise viel zu idealisiert dargestellt. Um eine ordentliche Landwirtschaft zu betreiben kostet es Kraft, Schweiß und auch Tränen und sie lebt nicht allein vom Tiere streicheln, das musste auch ich lernen. Das Schöne daran ist jedoch, dass man näher an den Naturkreisläufen ist und mit Konkretem und nicht mit Abstraktem arbeitet und mir persönlichein großes Gefühl von Selbstwirksamkeit gibt.
Ich denke, wenn man offen, freundlich und respektvoll anderen Menschen gegenüber tritt, findet man immer Anschluss.
Paschel: Bei der Verwirklichung eures Lebenstraumes wünsche ich euch viel Glück.
Chiko fehlt mir sehr und ich werde sicher bald wieder kommen.
Vielen Dank liebe Judith für Alles.
Biedermann: Sehr gerne lieber Bernd!
Weiterführende Informationen: https://www.wieser-manufaktur.de/
Das Interview wurde erstveröffentlicht bei Weltexpress am 1.9.2020