„Reiten-Extrem“ – Andrea und Hardy Baumbach im WELTEXPRESS-Exklusivinterview

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Andrea Baumbach, Extreme Trail Park Herbstein. © Baumbach Foto Marta Nowakowska

Herbstein, Hessen, Deutschland (Salon Philosophique). Bernd Paschel sprach mit Andrea und Hardy Baumbach über ihr erstes Buch „Extreme-Trail“. Hardy Baumbach gehört mit zum Urgestein der Western-Reiter, war Gründungsmitglied der EWU und lange Jahre selbständiger Western-Trainer und Turnierreiter. Seit den 70er Jahren ist er Quarter Horse Züchter und Liebhaber. Andrea Baumbach ist eher der klassischen Reitweise verpflichtet und führte viele Jahre Reiten für Menschen mit Beeinträchtigungen durch, auf den eigenen Quarter Horses und dem unvergessenen Muli.

Paschel: Ein Westernreiter und eine klassische Reiterin, ist das kompatibel?

Hardy Baumbach: Problemlos, ganz nach dem Motto gut geritten ist gut geritten, egal mit welchem Equipment oder welcher Philosophie im Hintergrund. Immerhin sind es immer Pferde mit denen wir arbeiten.

Andrea Baumbach: Als ich Hardy vor fast 30 kennen lernte, staunte ich über etliche Ideen des Western-Reitens. Denn ich gehörte Mitte der 80er Jahre schon zu den Leuten, die das Western-Reiten ein bisschen lustig fanden und nicht ernst nahmen. Ich änderte meine Meinung nachdem ich für eine Bekannte einsprang und an einem Kurs bei einem Western-Trainer teilnahm. Denn das gut klassisch ausgebildete Pferd, welches ich dabei hatte, verstand fast schneller als ich. Da dachte ich mir, an der Methode muss doch einiges richtig sein und empfand es schon damals nicht als Widerspruch zu dem, was ich bis dahin für erstrebenswert hielt und noch heute halte.

Paschel: Interessant, das klassisch ausgebildete Pferd lehrt seine Reiterin Western

Andrea Baumbach: Ja, eine Basis mit dem Pferd zu erreichen die auf gegenseitigem Verständnis beruht, dem Pferd auch Freiraum zu geben. Da hatte das Western-Reiten schon einiges zu bieten. Allerdings kann ich mich bis heute mit einigen Manövern, wie z.B. den Sliding-Stops nicht anfreunden, aber auch in den klassischen Bereichen gibt es Dinge, die ich nicht nachmachen mag.

Paschel: Und nun, der erste Extreme-Trail in Europa in dem wunderschönen Naturpark Hoher Vogelsberg, der unter Wanderreitern ein Geheimtip ist.

Was war Eure Motivation?

Hardy Baumbach: Meine Motivation ist ganz klar: Die Reiter für das Reiten im Gelände sicherer zu machen.

Andrea Baumbach: Ich hatte den Eindruck, dass die Pferde selber denken und bewusst Verantwortung über ihre Bewegungsabläufe in den Hindernissen übernehmen. Das faszinierte mich von der ersten Sekunde und hält bis heute an. Wir leben und reiten im Vogelsberg, da findet man äußerst anspruchsvolles und abwechslungsreiches Gelände, daher wäre ein Training für das Reiten im Gelände für mich allein kein Ansporn gewesen.

Paschel: Ein paar Stunden auf Eurer Anlage sind für das Pferd extrem anstrengend. Das konnte ich selbst erfahren. Zum Glück gehört eine große Wiese mit Zelt zum Park, wo Pferd und Mensch sich gut entspannen können.

Andrea Baumbach: Stimmt, die Anstrengung für das Pferd wird häufig unterschätzt. Aber das Training fordert ein hohes Maß an Kraft und Konzentration vom Pferd und wo, wenn nicht beim Grasen in Gesellschaft von Artgenossen erholt sich ein Pferd sehr gut?

Effektive Regenerationsphasen sind unabdingbar, wenn wir hohe Konzentrationsleistungen und Anstrengung von unserem Partner Pferd verlangen. So etwas gehört für uns zu unserem ganzheitlichen Ansatz. Anspannung-Entspannung. Auch für den menschlichen Teil des Teams ist eine schöne Umgebung positiv. Nicht selten sagten die Teilnehmer: Ein herrliches Fleckchen Erde ist das hier.

Paschel: In Eurem Buch „Band 1 – Extreme-Trail“, stellt ihr die einzelnen Stationen vor, anfangs gleich die Hängebrücke, die ich am schwierigsten fand. Ist in der Reihenfolge der Stationen ein System oder wie durchläuft man im Lehrgang die Stationen?

Andrea Baumbach: Bei den Kursen beginnen wir selbstverständlich nie mit der Hängebrücke, das habe ich im Buch an die erste Stelle gestellt, weil die Hängebrücke so etwas wie ein Markenzeichen des Extreme Trail geworden ist und als ein typische Hindernis angesehen wird. Wir beginnen bei den Kursen in der Bodenarbeit mit Hindernissen, die wenig Anforderungen an das Pferd stellen, die eher die Kommunikationsfähigkeiten des Pferdeführers fordern. So entsteht Verständnis beim Pferd für die Aufgaben und in der Folge können Hindernisse angegangen werden, die nun das Pferd mehr fordern. Wir achten darauf, dass sich die Anforderungen an das Pferd abwechseln.

Was schwer ist und was leicht, an den Hindernissen, ist durchaus von Pferd zu Pferd verschieden. Daher legen wir die motorischen Anforderungen zugrunde bei der Abfolge.

Paschel: Vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Komplexen oder vom Bekannten zum Unbekannten?

Andrea Baumbach: Ja. Der bewährte Aufbau im Tiertraining. Es ist tatsächlich so, dass es Pferde gibt die sich unglaublich vor einem einfachen Steg fürchten können, die kleine Stufen für unüberwindbar halten oder sich schlichtweg weigern über eine Abfolge von dünnen Stämmen zu schreiten, auf der anderen Seite passiert es nicht selten, dass Pferde ohne zu zögern über die Hängebrücke gehen. Das sind häufig sehr gut gymnastizierte Pferde, die sich schon sehr gut ausbalancieren können oder Pferde, die schon sehr viel erleben durften. Manche Pferde gehen am ersten Wochenende überhaupt nicht über die Hängebrücke, andere nicht durchs Wasser, das erreicht man aber wenn man weiter trainiert mit Leichtigkeit.

Hardy Baumbach: Nach meiner Erfahrung gibt es oft Pferde, die die natürlichen Bodenhindernisse mit Leichtigkeit bewältigen und sich dafür vor den gebauten Hindernissen fürchten und genau umgekehrt. Eigentlich fangen wir mit Dingen an, die aus unserer Erfahrung gut klappen und das Pferd bestätigen und mutiger machen und nicht gleich mit Anforderungen die Schwierigkeiten bereiten. So werden die Pferde viel kooperativer.

Paschel: Es werden auch Ratschläge zum Bau und zur Konzeption der Anlage gegeben, die sehr hilfreich sind.

Den Begriff Mehrwert-Nutzen ist mir nicht ganz verständlich.

Andrea Baumbach: Mit Mehrwert ist der Nutzen gemeint, an den man im ersten Moment nicht denkt, wenn man sich die Pferde in den Hindernissen betrachtet. Gespräche mit Besuchern und Kursteilnehmern haben mich darauf gebracht, dass oftmals ein Nutzen für das Reiten im Gelände und der Effekt, Pferde an Dinge zu gewöhnen, gesehen wird, dass man Trittsicherheit verbessern kann aber oftmals nicht die Förderung der Beweglichkeit, der Nutzen für die Gymnastizierung in der Reitbahn, der Verbesserung der Tragfähigkeit, der Optimierung von Bewegungsabläufen und ähnlichen Dingen. Mit dieser Unterteilung wollte ich darauf aufmerksam machen, dass es kein Erfolg ist, wenn das Pferd über ein Hindernis drüber geht, sondern, dass es sich lohnt, die Hindernisse regelmäßig zu wiederholen und die Übungen zu steigern. Nur dann beginnen die Pferde z.B. beim Absteigen von Stufen, die Hinterhand erst unterzusetzen. Bei ungeübten Pferden sieht man immer, dass sie auf die Vorhand fallen, den Kopf nach oben nehmen, um wieder hoch zu kommen, ein ähnlicher Bewegungsablauf wie nach einem Sprung. Das will ich auf Dauer nicht, sondern das Pferd soll sein Gewicht nach hinten verlagern, so bekommt es die Vorhand freier und kann wesentlich geschmeidiger absteigen.

Paschel: In der Art der Zäumung ist zu sehen, dass bei der Bodenarbeit das Knotenhalfter überwiegt, beim Reiten kommt auch das Gebiss vor, aber auch der Halsring. Es geht sogar ohne alles oder?

Andrea Baumbach: Es geht immer auch ohne alles, ist aber nicht immer sinnvoll. Ich reite selber gern ohne Kopfstück, Teilnehmer im freien Training sehen das oft. Auf unserer Homepage zeigen wir das auch. Meine Idee dahinter ist zu sagen: „Schaut, ihr müsst ja gar nicht ohne Kopfstück reiten aber ihr solltet so trainieren, als müsstet ihr ab morgen immer ohne Kopfstück reiten.“ Das soll so ein Bild dafür sein, die Zügel weniger einzusetzen und sich mehr auf den Sitz zu konzentrieren, so als hätte man gar keine Zügel. Das ist für mich der wichtigste Aspekt dabei.

Leider werden die Zügel nur zu oft als Bremspedal missverstanden oder als Lenkung. Das war in der Arbeit mit den Menschen mit Behinderung immer schön, das erste, was ich erklärte war: An den Zügeln wird nicht gezogen. Die Zügel sind nicht die Lenkung und auch nicht die Bremse. Dann habe ich mit den Reitern mit Behinderung Übungen auf dem Boden gemacht, die ihnen zeigten, wie man das Pferd durch den Körper lenkt. So wurden die gar nicht erst zügelabhängig beim Reiten.

Paschel: Nahezu alle Übungen macht Ihr am langen Zügel. Mit Kraft arbeitet Ihr überhaupt nicht?

Andrea Baumbach: Nein. Mit Krafteinsatz sollte man nicht zu reiten versuchen! Allerdings sollte hier kein Missverständnis entstehen: Die langen Zügel werden in einigen Hindernissen benötigt, damit das Pferd den Kopf senken kann, um das Hindernis im binokularen Bereich sehen zu können. Das ist der Bereich in dem das Pferd scharf und dreidimensional sieht. Wenn es nicht sehen kann wo es hintritt, neigt es zum Springen und das ist im Extreme Trail nicht gewünscht. Aber man kann auch federleicht in der Hand sein mit den Zügeln in Anlehnung und grob mit durchhängenden Zügeln. Auch hier ist das Gesamtbild entscheidend und nicht ein einzelnes Merkmal.

Paschel: Da Ihr bei allen Stationen immer auch auf das Handling eingeht, ist es nicht nur lehrreich für die Teilnehmer Eurer Kurse sondern übertragbar auf viele Situationen im Umgang mit Pferden, vom Führen aus der Box bis zum Überqueren einer Brücke im Gelände.

Andrea Baumbach: Das gehört auch zum Mehrwert-Nutzen. Umgang ist Training. Diese Tatsache müsste etwas mehr ins Bewusstsein gelangen, nicht nur abstrakt, als „Lehrsatz“, sondern wirklich in jeder Situation. Ich finde es sehr schade, wenn die ganzen Möglichkeiten verschenkt werden, die sich im alltäglichen Umgang ergeben. Es soll nicht so sein, dass etwas trainiert wird, das nur auf einem bestimmten Platz, in einer bestimmten Situation Gültigkeit hat. Überspitzt gezeichnet: Über die Hängebrücke geht das Pferd aber auf dem Weg durchs Gelände vom Stall zum Trail Park lässt es sich schlecht kontrollieren.

Paschel: Es gibt mittlerweile auch Wettkämpfe im Extreme-Trail. Führt das nicht zu den gleichen Auswüchsen wie in anderen Disziplinen, nämlich dass Menschen die Pferde mit Gewalt über die Stationen treiben?

Hardy Baumbach: Wir lehnen Wettkämpfe im Extreme-Trail zur Zeit klar ab! Wir sind der Meinung, dass die Reiter in der Disziplin Extreme Trail noch lange nicht so weit sind, dass jede „Leistung“ mit Pokalen oder Schleife belohnt werden kann. Dazu ist das Reiten im Extreme Trail, so wir wie es wünschen, viel zu anspruchsvoll.

Andrea Baumbach: Aktuell gibt es sogar schon Bestrebungen, auf europäischer Ebene internationale Reglements zu erarbeiten, das sehen wir mit sehr gemischten Gefühlen. In USA sahen wir sehr unschöne Bilder, besonders in den Speed-Classes, die teilweise auch noch positiv bewertet wurden, wenn die Pferde alle Hindernisse überwanden und dabei auch noch schnell waren. Übermäßiger Sporeneinsatz, harte Zügeleinwirkung und keinerlei Bewertung des Bewegungsablaufes des Pferdes. Das wollten wir schon von Anfang an vermeiden und wurden von Reitern, die gern einen Titel erwerben wollten für diese Haltung stark kritisiert. So können wir auch schon in der jungen Disziplin Extreme Trail eine Jagd auf Schleifen und Titel beobachten und Anbieter, die diesen Wünschen Rechnung tragen. Wir werden auch in naher Zukunft keine Turniere mit vollmundigen Titeln mehr anbieten, unsere Beobachtungen auf den Turnieren bei uns, in den USA oder auf anderen Anlagen in Europa bestärken uns nur darin.

Was aber sinnvoll sein kann, ist es Vergleiche zu ziehen und Bewertungen zu erhalten ohne den Turnierdruck, die den Reiter in der Selbsteinschätzung weiter bringen. So bieten wir an den freien Trainings kommentierte Pattern für die Teilnehmer an, die schon regelmäßig an den Hindernissen trainiert haben.

Diese Auswüchse, wie sie zu beobachten sind, können wir nicht gutheißen und wollten den Extreme Trail davon frei halten. Es scheint aber so, als würde uns das nicht gelingen. Da unsere Appelle an Anbieter nichts gebracht haben, können wir nur ein alternatives Angebot bereitstellen.

Paschel: Da kommt leider der Kommerz ins Spiel. Euer Lehrkonzept verstehe ich als erfahrungsoffen nach dem Motto „die Situation lehrt das Pferd“. Ich könnte mir vorstellen, dass Dressurreiter, die in der Vorstellung gefangen sind, ihrem Pferd dauernd etwas beibringen zu müssen, bei Euch lernen könnten loszulassen und den Satz „Der Reiter formt das Pferd“ neu entdecken könnten.

Hattet Ihr schon typische Dressurreiterinnen auf Eurem Hof? Mit typisch meine ich dogmatisch, z. B. Leute, die das Knotenhalfter ablehnen oder grundsätzlich in Anlehnung reiten wollen.

Andrea Baumbach: Wir hatten schon etliche Dressurreiter auf den Kursen dabei, die allerdings immer offen waren, sich und ihr Pferd auszuprobieren. Das Zügel aus der Hand kauen lassen gehört zu jeder ordentlichen Dressurausbildung und sollte problemlos klappen.

Paschel: Zum Thema Lehren, Lernen und Trainieren wollt Ihr noch etwas mehr im geplanten Band 2 sagen. Ist auch die „artgerechte“ Haltung für Euch ein Thema?

Andrea Baumbach: Der Punkt Bewegungslehre ist für den 3. Band vorgesehen. Der zweite Band soll sich mit dem Training auf einem Extreme-Trail-Park für Fortgeschrittene befassen. Das umfasst die Trab- und Galopparbeit am Hang und zwischen den Hindernissen, sowie der Hinterhandbeeinflussung in bestimmten Hindernissen und Übungen für Fortgeschrittene in den Hindernissen. Fast alle Hindernisse können so variiert werden, dass sie unterschiedliche Schwierigkeitsstufen darstellen. Über die positiven bzw. negativen Auswirkungen der Haltungsform werden wir uns nicht äußern, da gibt es genügen Fachleute, denen wir selber gerne zuhören und von ihnen lernen. Das ist auch ein Bereich, auf dem enorme Fortschritte gemacht wurden.

Gern verweisen wir hier auf die Veröffentlichungen zu dem Thema Pferdehaltung von Tanja Romanazzi, die nicht nur in der Theorie viel für eine Artgerechte Pferdehaltung tut, sondern auf ihrem großen Hof diese Haltungsform engagiert praktiziert. So es verwundert nicht, dass die 2. Extreme Trail Anlage in Europa eben auf dem Heinrichshof von der Familie Romanzzi entstanden ist, kurz nach unserem Park.

Paschel: Es spricht für Euch, dass Ihr auch in die Rolle des Lernenden gehen könnt. Vielen Dank für dieses interessante Interview!

Weiterführende Literatur: http://www.extreme-trail.de

Anmerkung:

Der Beitrag von Bernd Paschel wurde am 17. Januar 2016, um 19:24 Uhr MEZ, im WELTEXPRESS erstveröffentlicht.