Lisa Spitzer im Exklusivinterview: Ein „Little Paradise“ für Pferde in der Steiermark

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Lisa mit ihrer Stute Pandora beim Zwiegespräch im "Kleinen Paradies". BU: Bernd Paschel © 2015, Lisa Spitzer, Foto: Maksida Vogt

Frankfurt am Main, Deutschland (Salon Philosophique). Lisa Spitzer, geb. 1987 in Bruck an der Mur, fühlte sich schon früh als kleines Mädchen zu Pferden hingezogen, wie das oft in diesem Alter passiert, mit 8 Jahren Reitschule, mit 16 Jahren das erste eigene Pferd. Später absolvierte sie die Landwirtschaftliche Fachschule und wurde Pferdewirtin. Der Traumberuf des kleinen Mädchen entwickelte sich allerdings zum Alptraum, weil der traditionelle Reitbetrieb und die Pferdehaltung in Boxen, wie auch die Abhängigkeiten in diesem Beruf immer weniger mit ihren Ideen und Vorstellungen in Einklang zu bringen waren.

Sie lernte einen 2. Beruf als Bürokauffrau und von da an waren die Pferde nur mehr ein Hobby.

Nun, unabhängig und frei, eröffneten sich neue Wege, mit dem Pferd zu kommunizieren. All das führte letztlich zum „Little Paradise“, einem wundervollen Hof, der seinen Namen verdient und nicht nur ein Paradies für Pferde wurde, sondern auch für alle, die dazu gehören, Katzen, Hunde und Menschen.

Paschel: Liebe Lisa, als ich Ihr erstes Interview mit Maksida Vogt bei Youtube fand, ist mir etwas klar geworden: Um den Pferden in allen Belangen gerecht zu werden, braucht man viel Geduld.

Das Video ist relativ lang und Maksida Vogt hinterfragt alles sehr konsequent. Ich war mehrfach geneigt, vorzuspulen oder abzubrechen, weil ich ungeduldig wurde. Diesen Impuls zu überwinden, hat sich gelohnt. Das wurde mir am Ende klar.

Geduld ist anscheinend auch Ihre Stärke?

Spitzer: In all der Zeit, die ich nun mit Pferden verbringe, habe ich in den letzten 3 Jahren erst wirklich erfahren, was es heißt einem Pferd ein artgerechtes Leben zu bieten. All die Jahre davor waren geprägt von den Dingen, die ich gelernt habe und wie es heutzutage üblich ist, in meiner Fachausbildung zu Pferdewirtin, an meinen Praxisorten und bei den Ställen, wo ich gearbeitet habe. Und nun hier auf unserem Hof lehren mich die Pferde jeden Tag. Sie lehren mich, was wichtig ist, sie lehren mich Geduld, sie lehren mich im Jetzt zu sein, den Augenblick zu spüren und zu genießen, sie lehren mich die Dinge, die kommen, anzunehmen, genauso wie sie alles annehmen. Und sie lehren mich zu leben.

Paschel: Können Sie das noch deutlicher artikulieren?

Spitzer: Das ist für mich relativ einfach: Man tut das, was alle tun. Man macht es so, wie alle um einen herum, so wie man es schließlich gelernt hat, wenn man immer mit dem Strom schwimmt, sich nicht die Mühe macht, eigene Gedanken und eigene Erfahrungen zu machen. Wenn man das glaubt, was einem erzählt wird, macht man es sich auf der einen Seite sehr leicht, auf der anderen Seite ist man vielleicht noch nicht bereit, es wahrhaben zu wollen und Dinge zu verändern. Denn eine Veränderung ist immer ein Schritt ins Ungewisse und man braucht Vertrauen. Aber irgendwann kommt ein Punkt im Leben – oder ein Pferd das einen dazu bringt -,  da sieht man über den Tellerrand hinaus und beginnt es anders zu machen, eigene Erfahrungen zu machen und man beginnt zuzuhören – den Tieren die um einen sind und die es einem zeigen-, wenn man dazu bereit ist.

Die Herde im Winter an einem der Bachläufe, der im Winter teilweise friert. Sie leben mit den Jahreszeiten und ihr Rhythmus richtet sich danach. BU: Lisa Spitzer, 2016, ©Lisa Spitzer

Paschel In meinen Ausbildungskursen mit Sportstudentinnen war das Beobachten von Pferden in der Gruppe ein Ausbildungsinhalt mit dem Ziel, die Kommunikation der Pferde untereinander zu analysieren. Aus meiner Erfahrung stehen die Pferde oft nur rum auf der Koppel und wenn dann etwas geschieht, hat man schnell die Ursache übersehen, wenn man nicht geduldig bei der Sache ist.

Viele Reiterinnen lesen Bücher über die Körpersprache der Pferde im Glauben, sie so verstehen zu können, nicht nur aus Mangel an Geduld, sondern, weil sie gar keine Pferde in der Gruppe, geschweige denn Herde, kennen auf ihrem Hof.

Ist die Individualität von Pferden überhaupt in einem Buch vermittelbar oder wird da nicht eher Scheinwissen vermittelt?

Pandora und Nils, in die Atmosphäre der Herde eintauchen. Man spürt die tiefe Verbundenheit zur Natur und zum Leben. Das ist eines der dinge, die wir von den Pferden lernen können. BU: Lisa Spitzer, 2017, ©Lisa Spitzer

Spitzer: Eine sehr gute Frage. Meine Meinung dazu ist, dass man das Verhalten bei Pferden schon studieren kann, jedoch nur in ihrem natürlichen Lebensraum. Das heißt an Pferden, die noch wild leben und intakte Sozialstrukturen haben, wie etwa die Wildpferde in Bosnien oder England usw. . Die meisten Pferde, die unnatürlich gehalten werden, können sich gar nicht wirklich entwickeln. Sie stehen meist für eine lange Zeit alleine in der Box. Sie haben wenig bis kein Kontakt zu Artgenossen und wir Menschen entscheiden, mit welchen Artgenossen sie zusammenkommen. Desweiteren beginnt es meist schon bei der Aufzucht der Fohlen, sie werden früh von ihren Elterntieren getrennt, die Hengste werden kastriert.

Bei meiner Herde habe ich hier interessante Dinge beobachtet. Sie können sich hier wieder entfalten und all ihre Instinkte ausleben und das tun sie auch. Auch wenn es komisch klingen mag, sie werden wieder wilder, instinktiver und zeigen deutlich, was sie wollen und was nicht.

Paschel: In einem guten Video lässt sich schon mehr davon einfangen, wie die Realität der artgerechten Haltung aussieht. Die Umstellung von traditioneller Haltung auf 24 Stunden freier Auslauf war sicher nicht unproblematisch oder?

Spitzer: Das würde ich gern am Beispiel meiner Stute Pandora darstellen.

Paschel: Sehr gern, praktische Beispiele sind meist anschaulicher als die graue Theorie.

Spitzer: Nachdem ich meine Stute fast sechs Jahre lang in ihrer Futteraufnahme begrenzt habe, da ich es ja so gelernt hatte und mir von vielen Seiten gesagt und angeraten wurde, Pandora zu begrenzen, weil sie zu dick wäre und krank werden würde. Die Entscheidung war schwer, würde ich nicht sagen, es war zu Beginn nicht leicht, da alles so gegenteilig war zu dem, wie es üblicherweise gemacht wurde, und viele Leute meine Entscheidung nicht verstehen bzw. als fahrlässig erachteten, aber die Umsetzung war leicht, nachdem ich sie erst mal getroffen hatte. Es dauerte jedoch noch etwas, da in dem alten Stall eine 100%ige Umsetzung nicht möglich war, bis wir Pächter eines eigenen Hofes wurden. Endlich war es soweit, unsere Pferde, Pandora und Charly, bekamen eine Haltung, die ihren wildlebenden Verwandten glich, natürlich nicht ganz und auch auf einer kleineren Fläche, aber soweit es uns möglich war. Pandora hatte durch ihre vorherige Haltung einige Krankheiten entwickelt. Ihr Stoffwechsel war überlastet und sie hatte Wassereinlagerungen angesammelt. Nun hatte sie die Möglichkeiten dies zu heilen.

Ihr Fressverhalten hat sich vom ersten Tag an umgestellt. Sie haben nicht den ganzen Tag gefressen, wie viele Leute immer meinen. Sie sind gewandert, haben ihr Gebiet erkundet und Pausen gemacht. So war es jeden Tag. Sie richteten ihren Rhythmus nach der Jahreszeit. Im Sommer ruhten sie am Tag und, sobald die Sonne unterging, wanderten sie die ganze Nacht. Im Frühjahr und Herbst, waren sie am längsten auf den Wiesen unterwegs und suchten nach den ersten frischen Gräsern bzw. im Herbst nach Blättern, Ästen und den restlichen Gräsern um sich auf den Winter vorzubereiten. Im Winter hielten sie sich viel bei den Heuraufen auf und machten immer wieder Touren, um im Schnee nach letzten Resten der Gräser zu suchen.

Paschel: Wie sieht das jetzt aus?

Spitzer: Sie haben 24 Stunden Heu zur freien Verfügung das ganze Jahr über und 24 Stunden Wiese auf 8,5 Hektar, die sie mit 6 weiteren Pferden bewohnen. Des Weiteren haben sie eine Mineralstation mit natürlichen Mineralien und bekommen täglich Kräuter wie zum Beispiel Löwenzahn, Goldrute, Schafgarbe, Pfefferminze und viele mehr zur Auswahl und etwas Hafer. Dazu gibt es zur Auswahl Sonnenblumenkerne, Hanfsamen, Schwarzkümmel, Leinsamen und Mariendistel-samen.

Der Alltag der Herde, es wird gedöst, gegrast und manche sind am Heu und der Luzerne. Jeder kann frei entscheiden, was er wählt und wann. BU: Lisa Spitzer, 2016, ©Lisa Spitzer

Paschel: Hat sich ihr Fressverhalten weiter geändert?

Spitzer: Seit dem ersten Tag hier bei uns auf dem Hof hat sich Pandora’s Fressverhalten geändert. Nun selektiert sie sehr genau, sucht gezielt nach Gräsern oder den besten Stellen und ist von allen Pferden die, die am wenigsten von den angebotenen Samen nimmt. Bei den Kräutern wählt sie gezielt und, was sie gestern genommen hat, nimmt sie morgen meist nicht mehr, dafür aber 2 Tage später wieder. Es ist sehr interessant dies zu beobachten. Auch, was ihr Essverhalten beim Heu und bei der Wiese angeht, würden viele Leute mir nicht glauben. Sie ist mitunter am wenigsten am Heu und macht sehr viele Pausen. Aber genauso ist es ja am natürlichsten, wie ihre wilden Verwandten uns vorleben. Sie bewegen sich langsam grasend vorwärts und das über viele Stunden am Tag und nehmen dabei sehr kleine Mengen auf, da ihr Magen im Verhältnis zu ihrem Körper bekanntlich sehr klein ist. Er ist darauf ausgelegt, viele kleine Mengen zu verdauen ohne lange Esspausen.

Die Herde bietet Schutz, Vertrauen und Sozialkontakt, die größten Bedürfnisse und ein wichtiger Punkt für die Gesundheit der Pferde. BU: Lisa Spitzer, 2016, ©Lisa Spitzer

Paschel: Nicht nur beim Reiten glaubt der Mensch, sein Pferd unter ständiger Kontrolle haben zu müssen, auch sogar beim Fressen, scheint mir, obwohl die Pferde das in 34 Mill. Jahren instinktiv gelernt haben, sonst hätten sie nicht bis in die Neuzeit überlebt.

Spitzer: Wer sind wir, dass wir einfach so darüber bestimmen können, was unser Pferd zu fressen hat, wann es zu fressen hat und wie viel? Woher wissen wir welches Gewicht das optimale für unser Tier ist? Woher wissen wir so genau, was es braucht? Wir selbst haben unsere Essinstinkte schon weitestgehend verloren und ernähren uns von ungesunden Dingen, obwohl wir wissen, dass es unserem Körper nicht guttut. Woher sollen wir dann wissen, was unser Pferd braucht? Nur das Pferd selbst kann das und wird es tun, wenn es die Möglichkeit dazu bekommt.

Meine Beobachtungen zeigen mir, dass ich damit richtig liege, den Pferden zu vertrauen. Alle Pferde nehmen unterschiedliche Kräuter zu anderen Zeiten und haben alle einen anderen Rhythmus. Es ist nie so, dass alle Pferde immer gleichzeitig fressen. Der eine ruht und entspannt, der andere hat sich zum Schlaf ganz hingelegt. Der eine sucht nach einem speziellen Gras, der andere geht trinken und so verteilt sich das den ganzen Tag über.

Übrigens, früher hatte ich keine Chance, dass Pandora zu mir kam, wenn ich auf die Koppel ging. Sie war damit beschäftigt so viel Futter wie möglich zu essen, bei der begrenzten Aufenthaltsdauer auf der Weide. Heute kommt sie jeden Tag und jedes Mal zu mir, wenn sie mich sieht. Und wir erfreuen uns sehr an der Gesellschaft des anderen.

Paschel: Sie bieten auch Seminare zu diesem Thema an?

Spitzer: Ja, in meinen Seminaren erläutere ich das Verhalten der Pferde und berichte über ihre Essgewohnheiten in den letzten 2,5 Jahren. Es gibt eine Wanderung mit meiner Herde, sowie individuelle Geschichten über die Entwicklung der Pferde und ihr Essverhalten

Paschel: Sehr herzlichen Dank, liebe Lisa für diese tiefen Einblicke in die Welt der Pferde. Selten habe ich mich so wenig belehrt gefühlt und dabei so viel gelernt

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Weiterführende Informationen unter: https://alittleparadiseranch-com.jimdo.com/

Der Beitrag wurde erstveröffentlicht bei Weltexpress am 8. Okt. 2017