Über die Kunst des gebisslosen Reitens – Monika Lehmenkühler im Exklusivinterview

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Monika und Yorki-Mix Kaya präsentieren sich fotogen. Pferdchen Xenophon aus eigener Zucht, ein Sorraia (Mutter spanisch Mustang x Sorraia, Vater reiner Sorraia) ist mehr am Grasen interessiert. © 2017, Monika Lehmenkühler, BU: Bernd Paschel

Lindlar, Deutschland (Salon Philosophique). Seit 1970 beschäftigt sich Monika Lehmenkühler intensiv mit Pferden und arbeitet bereits seit 1982 nebenberuflich als freie Reitlehrerin und Pferdeausbilderin. Zudem absolvierte sie 2000 ein Studium als Pferdehomöopathin und in der klassischen Naturheilkunde.

1991, nach über 20 Jahren traditioneller klassischer Reiterei mit Gebissen, stellte sie die ersten Pferde auf das gebisslose Reiten um. Im Jahr 1998 dann erteilte sie konsequent allen Gebissen den Laufpass. 2002 eröffnet sie in Bensberg Deutschlands allererste gebisslose Reitschule und erfand den patentierten, gebisslosen LG-Zaum. 2010 geht ihr Buch „Anspruchsvoll gebisslos reiten“ in die zweite Auflage. Ab 2007 bereiste sie für Seminare u.a. Australien, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Schweiz und Spanien. 2008 und 2009 erstellte sie die ersten Lehr-DVDs zu diesem Thema und trat bei verschiedensten TV- und Radiosendern auf. 2009 übernimmt sie ein Reitzentrum im Oberbergischen, das ehemals von der CAVALLO/Pferdemarkt als mit einer der besten Ställe Deutschlands auserkoren wurde. Ende 2011 gibt sie das LG-Reitzentrum auf, um sich intensiv um ihr Studium „Recht/Geschichte“ und den Vertrieb zu kümmern.

2014 wurde die LG-Team eG gegründet, die fortan die Erfindungen, Philosophie von Monika Lehmenkühler und darüber hinaus den Schutz bedrohter Ur-Pferderasse, seltenen Pferden übernimmt und darüber hinaus auch den weltweiten Vertrieb ausbauen soll. Nach wie vor engagiert sie sich intensiv in der Aufklärung, besondern klärt sie über das gebisslosen Reiten und die aus der Gebissnutzung entstehenden schweren gesundheitlichen Problemen bei Pferden auf. Im Laufe der Jahre zertifizierte sie einige versierte, vom gebisslosen Reiten überzeugte Reiter, die inzwischen auch nach ihrer Idee gebisslos mit dem LG-Zaum Reiter und Pferd beraten und auch ausbilden. Dazu berät sie selber weiterhin zu Reittechnik, Reiter- und Pferdeausbildung, zu Pferde-Verhalten, -Gesundheit, -Haltung, -Fütterung, -Hufbearbeitung etc. und dies sogar weltweit.

Mittlerweile findet man über 100 Videos über ihr Projekt bei Youtube.

Das Interview

Paschel: Liebe Monika, obwohl ihr Name mir schon lange ein Begriff war und ich Ihren LG-Zaum, genannt Glücksrad, selbst ausprobiert habe vor 15 Jahren, wusste ich nicht, wie engagiert Sie für das Wohlergehen der Pferde kämpfen. Nachdem ich Ihre neue Homepage besucht habe, ist mir klar geworden: „Sie glauben an das Gute im Menschen, wenn ich sehe, wie Sie sich mit dem Männern in der Reiterlichen Vereinigung (FN) auseinandersetzen.“ Diese Demonstrationen von Macht ertrage ich nicht mehr. Glauben Sie, dass Folterinstrumente, wie Gebiss, Sperrriemen, Kandare und Sporen noch zu Ihren Lebzeiten abgeschafft werden?

Lehmenkühler: Ohhhhja, das ist mein größtes Anliegen, nach wie vor. Haben nicht gerade die Pferde, wie kein anders Tier in dieser Welt, doch maßgeblich zur Entwicklung der Menschheit beigetragen? Kein Tier musste in den Jahrtausenden so viel Leid ertragen im Dienste des Menschen. Es ist schon längst an der Zeit ihnen unseren Dank in Form einer konsequenten Wegnahme, mindestens jedoch aller Folterinstrumente, wie es Gebisse, Sporen, Peitsche & Co nun mal sind, zukommen zu lassen. Klingt erst einmal etwas „welt“fremd, ist es aber wahrhaftig nicht!

Paschel: Christoph Hess, einer der wenigen dialogfähigen Männer in der FN, ist leider nicht mehr in seinem Amt!?

Lehmenkühler: Als wirklich dialogfähig habe ich einen Christoph Hess nicht erlebt und empfunden. So lange man ihm Aug und Aug gegenüber steht, gibt er sich vordergründig überfreundlich, ja sogar überzogen dialogbereit, in Wahrheit jedoch scheren ihn andere Meinungen, selbst unterlegt mit unwiderlegbaren Fakten, einen Feuchten. Da ich von dem Termin bei ihm als Wortführer dieser Veranstaltung vor Ort, alles als Ton und Videoaufnahmen festgehalten hatte, kann ich diese meine Aussage sogar unumstößlich beweisen. Er präsentierte allen ernstes, höchst selbst unterrichtend, an dem Tage ein gerade mal 10 Wochen gerittenes Pferdchen mit stolz geschwellter Brust in der Rollkur. Mir ist heute noch übel, wenn ich daran zurückdenke, wie er diesen jungen Burschen auch noch dazu anleitete. „Ich entschuldige mich für die harten Worte … kann aber nicht umhin, dies auszuführen, die nackte Wahrheit ist halt oft schmerzhaft!“

Paschel: Breidau Graf von Rantzau, der Präsident, hat doch gute Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes entworfen, mit denen Alle leben könnten, wenn sie denn umgesetzt würden.

Lehmenkühler: Die heutige FN ist meilenweit von Ethik und echtem sittlichen Verhalten gegenüber den leider viel zu sanften Pferden entfernt. Alles nur Makulatur!

Paschel: Ich kenne einige Pferdeleute, die das System FN als „mafiös“ bezeichnen.

Lehmenkühler: Wie nennt man jene willfährigen Diener eines korrupten Systems? Wie im Großen, so auch bis in die kleinsten Strukturen hinein. Das ist eben auch ein Verein FN. Diejenigen die bezahlen bestimmen was die Musik spielt. Heute ist mir sonnenklar warum ein deutlich pferdegerechteres, gebissloses Reiten für eine Deutsche Reiterliche Vereinigung keine Option sein kann und darf!

Monika Lehmenkühler mit Galeno VIII, ein reiner Cartujano aus Spanien, mit Glücksrad, BU Bernd Paschel, 2008 © Monika Lehmenkühler

Paschel: Regelmäßig passiert es mir, wenn wieder ein Bericht über Reitturniere im Fernsehen kommt, dass ein anscheinend total inkompetenter Sprecher die ins Auge springenden Grausamkeiten verharmlost. Ich kann es nicht mehr mit ansehen.
Aber lassen Sie uns darüber reden, was man besser machen könnte. Wie sind Sie zu der Idee des Gebisslosen Reitens gekommen?

Lehmenkühler: Schon sehr lange besuche ich keine Turniere mehr, weder als Teilnehmer noch als Zuschauer. Ich schau mir auch keine TV-Übertragungen mehr an, da mich die Bilder, die einem dort präsentiert werden, zu sehr schmerzen…
Schon in den 90iger Jahren suchte ich aufgrund eines zarten und sehr sensiblen Trakehners nach anderen Möglichkeiten zur Kommunikation mit Pferden. Marti kam mit Gebissen so gar nicht zurecht… Als ich dann auch in der Fachzeitschrift Cavallo im Jahre 2001, noch geführt von dem überaus fähigen Hannes Scholten, den Bericht „Maul halten“ über die Ergebnisse von Dr. Cook las, war mir klar, was ich schon Jahre zuvor, zwar nur vermutet aber doch gespürt hatte.

Paschel: Ich bin zur gleichen Zeit über Monty Roberts auf diese Schiene gekommen, obwohl er kein Verfechter des gebisslosen Reitens ist, aber er hatte auch ein gebissloses Halfter zum Training. Ich habe eigentlich nur konsequent das weiter gedacht, was er propagiert hat, nämlich die Gewalt gegen das Pferd zu minimieren, was dann andere Horsemen weiterentwickelt haben. Gibt es eigentlich totale Gewaltfreiheit, wenn man mit Pferden arbeitet und reitet?

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Lehmenkühler: Monty Roberts habe ich bei meiner Reise für Schulungen und Vorträge in die USA auf seiner Flag Is Up Farm persönlich getroffen und live erleben dürfen. Über diese Begegnung könnte ich ein kleines Büchlein schreiben … aber ich möchte nicht unnötig lang abschweifen, nur so viel und harmlos formuliert: „Es ist nicht alles Gold was glänzt“

Gewaltfreiheit im Umgang mit Pferden, nun ein brisantes Thema, insbesondere wenn man den Wunsch bzw. die Aussage mancher Menschen näher betrachtet, die all zu oft von ihrem Pferd als Partner fabulieren aber weiterhin die gängige Praxis der Haltung und des Reitens praktizieren. Eine Partnerschaft setzt Gleichberechtigung voraus. Das Wort Gewalt müsste für Pferde anders definiert werden, ein Pferd als Herdentier lebt in klaren Hierarchiestrukturen und fühlt sich erst darin geborgen und sicher. Gewalt ist ein Begriff der bösen Willen und nachhaltige Wut impliziert, was doch eher menschliche Emotionen beschreibt. Ein Mensch ist oft Nachtragend und schleppt seine Wut und durchaus die damit einhergehende Gewaltbereitschaft sogar Tage und auch Jahre mit sich herum. Dieses Verhaltensmuster ist bei Pferden wenig bis gar nicht ausgeprägt. Es offenbart seinen Unmut über eine deutliche Geste, einen Tritt oder Biss und ist danach wieder gut. So kommunizieren Pferde untereinander, manchmal auch gnadenlos hart aber sie kennen eher keine nachhaltige, andauernde Wut, sie sind nicht Nachtragend. Sie tragen einen Konflikt aus und die Fronten sind geklärt, wenn genügend Raum zum Ausweichen vorhanden ist. Darin liegt auch all zu oft das Missverständnis zwischen Mensch und Pferd, da das Pferd nach einer Übersprungshandlung wieder auf Null fährt und der Mensch ihm dies noch Stunden oder Tage nachträgt. Ich habe in den langen Jahren viel von den Pferden lernen dürfen und so agiere ich inzwischen. Wenn eines der Pferde mir z.B. auf den Fuß treten würde (was sie nicht tun), bekäme es unverzüglich einen harten, kurzen Rüffel … und dann ist wieder alles Gut. Ebenso halte ich es wenn ich reiten möchte, nach dem Leitstutenprinzip, ich versorge dich so gut ich kann und du gibst mir deine Fähigkeiten, wenn ich es will. – Ein faires Angestelltenverhältnis, so würde ich die Beziehung Mensch – Pferd beschreiben wollen. Sprich, komplett nur mit Liebe und Nettigkeit, in der Frage verweilend, „würdest du bitte…?“ da fühlt sich kein Pferd wohl oder geborgen, nein es ist sogar verunsichert, was ein zufrieden stellendes Miteinander in Sicherheit faktisch unmöglich machen würde.

… dieses Thema alleine, würde mich ebenfalls verführen einen Roman zu verfassen, denn obige Ausführungen beschreiben nur „gaaaaanz“ grob und angerissen meine Beobachtungen und Erfahrungen in all den Jahren.

Paschel: Wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen, dass ich die Skala der Ausbildung schon vor 50 Jahren nicht verstanden habe. Erst Prof. Heinz Meyer hat mir die Augen geöffnet 2012 in seiner Kritik an der Skala der Ausbildung. „Sie wird dem komplexen Verlauf der Ausbildung eines Pferdes nicht gerecht, sie vereinfacht die realen Prozesse über Gebühr.“ Mein traumatisiertes Pferd hat mir eigentlich letztlich klar gemacht, dass Pferde nicht wie Maschinen funktionieren. Als Diplomsportlehrer und Dozent war ich mit der Bewegungslehre und -forschung in vielen Sportarten befasst. Das Sportmotorische Anforderungsprofil eines Dressurpferdes hat nur wenig gemeinsam mit dem eines Springpferdes und erst recht nicht mit einem Distanzpferd. Sich auf die Klassische Reitlehre zurück zu ziehen, wie das die Herren von der FN im Video tun, ist eigentlich nur ein Armutszeugnis, denn es ist richtig, dass es nur sehr wenige seriöse Forschungen gibt über die Bewegungen der Pferde und des Reiters, geschweige denn über die Harmonie zwischen Reiter und Pferd. Da bleibt den Herren eigentlich auch nichts anderes übrig als zu mauern, denn sie müssten zugeben, dass ihr Fundament sehr schwach ist und sie von anderen Motiven bestimmt sind.

Lehmenkühler: „Da bleibt den Herren eigentlich auch nichts anderes übrig als zu mauern, denn sie müssten zugeben, dass ihr Fundament sehr schwach ist und sie von anderen Motiven bestimmt sind.“ Das ist sehr, sehr trefflich formuliert lieber Bernd Paschel.
Alles was blind starren Strukturen folgt und ein Lebewesen in eine vorgegebene Form pressen will, wird langfristig scheitern. Weder Pferd noch Mensch sind nach Schema F (Ausbildungsskala) zu behandeln, ansonsten werden beide krank und leider aber eben logischer Weise sehen wir also heutzutage vorzüglich kranke Menschen und Pferde. Aber nur ein Beispiel für ein fundamentales Missverständnis: Der lange Rückenmuskel des Pferdes ist ein ausgesprochener Bewegungsmuskel, dessen Tätigkeit ausschließlich der Fortbewegung dient und eben nicht dem Tragen von Gewicht! Um diesen entsprechend für diese Belastung umzufunktionieren, wurde einmal die „Dressur“ entwickelt, erdacht. Die Dressur ist für das Pferd gemacht und nicht das Pferd für die Dressur. Ein Leitspruch, der heutzutage all zu oft in Vergessenheit geraten ist.

Paschel: Der Belgier Jossy Reynvoet, ehemals Hufschmied, der auch wie Sie seine Pferde von Anfang an gebisslos ausbildet und reitet, nennt die Dressur nur dann eine wirkliche Kunst, wenn das Pferd nie ein Gebiss gesehen hat.

Lehmenkühler: Nun, anstatt das gebisslose Reiten auf Turnieren zu verbieten, sollte man denen, die all die geforderten Lektionen ohne ein Gebiss vollführen, einen roten Teppich ausrollen und sie nicht, so wie es ja tatsächlich ist, von Turnieren ausschließen!

Paschel: Wie das?

Lehmenkühler: Nun, es würde schlicht und ergreifend dann ja zu offenkundig, dass diejenigen die weiterhin Gebisse verwenden ihre mangelnde Technik zum größten Teil nur über ein Gewalt ausübendes Mittel realisieren können. Ich gebe Jossy Recht, den Unterschied macht die Tatsache, dass ein Gebiss ein starkes Argument ist, so stark, dass viele Pferde nur aus der Verzweiflung heraus nachgeben. Schmerz ist ein sehr überzeugendes Mittel (für eine ganze Weile). Das gebisslos gerittene Pferd hingegen lässt sich nicht so nachhaltig auf der Nase herum tanzen, ohne dass dies entlarvende, für jeden sogleich sichtbare Spuren hinterlässt. Es tut es langfristig, weil es den Reiter versteht und begriffen hat, dass die empfohlene Haltung es ihm erleichtert das Reitergewicht zu tragen. Zu dieser Erkenntnis wird ein auf Gebiss gerittenes Pferd in den seltensten Fällen kommen, da es sich vielmehr auf den Schmerz und die Abwehr konzentriert als sinniger Weise darauf, was für es selber und den Reiter gut wäre. Es mangelt an Losgelassenheit und der daraus sich entwickelnden Entspannung, die einen echten Lernprozess erst nachhaltig ermöglicht.

Der Mensch -Monika- macht dem Pferd ein Angebot zur Kontaktaufnahme. © 2017, Monika Lehmenkühler, BU: Bernd Pasche

Paschel: Sehe ich das richtig, dass Sie sozusagen nach Ihrer gebisslosen Phase auch andere Aspekte im Umgang mit dem Pferd in den Fokus genommen haben, wie den Barhuf, die artgerechte Haltung und die Kommunikation Pferd-Mensch ?

Lehmenkühler: Ja, genau so ist es, ich sag jedem den es interessiert „Eisen gehört nicht ins zarte Pferdemaul und ebenso wenig an einen Huf genagelt“. Der große Blick aufs Ganze und alles genau zu hinterfragen und damit Licht ins Dunkel zu bringen, das war immer das Meine. Sich weiter entwickeln, nicht in Bewegungslosigkeit zu verharren, denn Stillstand bedeutet den Tod. Im Laufe der vergangenen Jahre haben sich für mich viele neue Erkenntnisse offenbart. Nicht nur, dass ein Fremdkörper aus vielerlei Gründen nicht in das Maul eines Pferdes gehört und ebenso wenig, dass ein, man nannte es sogar damals „notwendiges Übel“, wie ein Eisen an die Hufe genagelt werden muss. Dieses notwendige Übel Eisen zum Schutz der Hufe, hatte sicher seine Berechtigung, als noch Kutschen auf befestigten Straßen das Transportmittel Nr. 1 war. Heute werden die Pferde zumeist nach 23 Std. aus ihrer Gitterbox in die Halle/Reitplatz geführt um dort ein paar Runden zu drehen, welches es nicht rechtfertigt, ja sogar völlig unlogisch und überflüssig macht, einen so genannten Hufschutz auf den Huf zu nageln.

Das Pferd nimmt dieses Angebot an. Das andere Pferd hat sich entschieden zu grasen. © 2017, Monika Lehmenkühler, BU: Bernd Paschel

Paschel: Durch das Eisen und besonders die mangelnde Bewegung auf hartem Untergrund werden oft krankhafte Hufformen erzeugt, wie die verschieden Formen des Zwanghufes.

Lehmenkühler: Nicht nur das! Die Haltungs- und Fütterungsbedingungen, welche sich im Laufe der Zeit in den meisten Ställen eingebürgert haben, stellen bei genauerer Betrachtung ebenso keinerlei gesunderhaltende Basis dar. Den Pferden wird nachweislich, unter solchen Bedingungen, ihre wahre Lebenszeit um bis zu 50% verkürzt. Boxenhaltung, eiweißhaltiges, weiches und nicht grob strukturiertes Futter, tun, neben dem viel zu oft falsch praktizierten Training, ihr Übriges. Was jedoch den Tierärzten und sonstigen Berufszweigen, wie zum Beispiel Chiropraktiker, Osteopathen etc. sehr entgegen kommen dürfte. Da bleibt dann eben auch gerne der gesunde Menschenverstand, in Bezug auf die wahren Bedürfnisse der Pferde, auf der Strecke. Ein Lichtblick ist jedoch am Horizont zu sehen, denn immer mehr Ställe bieten inzwischen auch zumindest den Kompromiss Offenstallhaltung an. Wobei bei dieser Haltungsform ein gutes Management erforderlich ist, da es ansonsten ebenfalls zu nicht unerheblichen stressbedingten Erkrankungen beim Pferd führen kann.

Paschel: Da passt eigentlich gut der Satz, den Pat Parelli sinngemäß gesagt haben soll: Schau Dich um, was die Menschen mit ihrem Pferd tun, und tue das Gegenteil. dann bist du auf dem richtigen Weg.

Lehmenkühler: Ja, aber mein Prozess geht noch um einige Schritte weiter! Über mein vor über neun Jahren gestartetes Projekt, basierend auf einem allgemein bekannten Phänomen, der Odyssee fast aller Reiter in Bezug auf der niemals enden wollenden Suche nach dem wirklich passenden Sattel, hat vor geraumer Zeit sein Ende gefunden. Fazit: Es gibt keinen optimal passenden Sattel! Da können Sattelverkäufer mit noch so ausgefeilten Messmethoden ums Eck kommen, im Moment der Bewegung mit Sattel und Reiter, passt das gute Stück eben nicht mehr. Im Beginn meines Experimentes, wechselte ich täglich. Vom gut angepassten Baumsattel, am nächsten Tag dann zum hochwertigen Baumlossattel, dann zu einem Lammfellsattel und am letzten Tag ohne Sattel, um dann wieder mit dem Baumsattel zu beginnen. Feststellen konnte ich in dieser Zeit bei allen Pferden, dass sich die Rückenmuskulatur immens und deutlich sichtbar verbesserte. Dies wurde auch schon veröffentlicht und erkannt, auf Basis von Untersuchungen speziell des Rückens von Pferden die aufgrund ihrer Spezialisierung täglich nur ein und denselben Dressursattel oder Springsattel trugen. Vielseitigkeitspferde hingegen, welche im Wechsel mit einem Dressursattel und Springsattel trainiert wurden, hatten eine bedeutend bessere Rückenmuskulatur und dementsprechend seltener Probleme mit selbiger.

Nach einer ganzen Weile dieses Experiments des beständigen Wechsels, signalisierten mir alle Pferde unverkennbar, dass sie es vorzogen ohne Sattel geritten zu werden. Je mehr ich das Reiten ohne Sattel betrieb, je mehr stellte ich fest, dass die Ausbildung der Rückenmuskulatur aber auch die allgemeine Bereitschaft im Training sich nochmals bei allen Pferden erheblich steigerte.

Paschel: Das würde ich auch gern machen, aber da fehlt mir die Beweglichkeit im Becken. Ich bevorzuge mittlerweile einen baumlosen Sattel, der eine große Auflagefläche hat, in Verbindung mit dem Entlastungssitz (leichter Sitz im Galopp) in allen Gangarten, wo ich den Schwung des Pferdes im Steigbügel abfange.
Aber lassen sie uns nicht zu sehr ins Detail gehen.
Im Unterschied zu vielen mir bekannten Reiterinnen haben sie die Fähigkeit zur Selbstkritik.

Lehmenkühler: Ich hoffe „Ja“, aber es kommt auf die praktischen Konsequenzen an. Vor etwas über 3,5 Jahren hielt ich es in dem Reitstall, wo unsere kleine Herde im Offenstall lebte, nicht mehr aus. Die Großzahl der dort eingestellten Pferde dienten als Sportgeräte und mussten ihr Leben zumeist in Gitterboxen fristen. Es ergab sich eine Möglichkeit die Pferde bei einem Landwirt auf riesige, naturbelassene Weiden zu stellen. Winterweide von ca. 4 Hektar, mit Bachlauf, Wald und einem offenen großen Zelt. Zum Frühjahr hin, mit weitere Weideflächen ebenfalls mit Wald und Bachlauf von mindestens insgesamt noch mal ca. 6 Hektar. Zwar ohne Reitplatz oder Halle aber mit dem eh schon lange gehegten Wunsch die Tiere sozusagen auszuwildern, sprich sie „nur“ noch zu versorgen und sie in ihrer „Freiheit“ zu genießen (incl. selbst praktizierter Hufpflege etc). Ein Jahr lang setzte ich mich nicht mehr auf ihre Rücken und musste überrascht feststellen, dass die Pferde allesamt auch weiterhin hervorragend aussahen und kaum sichtbar Muskulatur verloren. Als ich nach über einem Jahr entschied, mich doch noch mal drauf zu setzen, war ich wirklich erstaunt. Nicht nur, dass sie in der Zeit nichts vergessen hatten, sie kamen geradezu freiwillig zu dem Aufstiegsplatz, ja 2 der Pferde drängelten sogar, als wollten sie sagen „Hey, ich will!“

Seit der Zeit reite ich 2 der 6 Pferde also dann, wenn alle Gegebenheiten stimmen. Wenn das Wetter mitspielt und ich Lust verspüre (überschlagen ca. alle 2 bis 3 Wochen, je Pferd für 10 bis 15 Min.). Manchmal mit dem LG-Zaum, manchmal aber auch komplett ohne Zaum und natürlich nach wie vor konsequent ohne Sattel. Weiter macht es ungeheuer Spaß, sowohl mir als auch den Pferden, Lektionen vom Boden zu vollführen. Verbeugung, Kompliment, alle Seitengänge, Passage, spanischer Schritt etc., dafür brauchen wir weder ein Kopfstück noch Peitsche oder andere Hilfsmittel. Die guten und teuren Sättel liegen nun seit über 4 Jahren verpackt und unberührt im Keller. 2 Nachkommen aus unserer Pferdefamilie (6 umfasst die kleine Herde insgesamt) sind heute 8 Jahre alt, wurden noch nie geritten und trinken immer noch ab und an Milch bei ihrer Mama.

Nun könnte ich auch noch zu meinem Vorgehen auf der gesundheitlichen Ebene eingehen. Nur so viel: Keines der Tiere war seither krank, sie werden schon über Jahre weder geimpft noch chemisch entwurmt. Die aufgrund von Vergiftung im alten Stall, durch das Düngen der Weide während die Pferde darauf standen, bei 3 Pferden entstandene Hufrehe (bei einem sehr dramatisch), ist so gut wie ausgeheilt. Der imposante Sorraia-Mann Embacado, bekam damals von einem versierten Hufpflege die Diagnose, „keine Chance, der wird niemals mehr reitbar sein“. Er läuft heute wieder völlig normal und drängelt sich vor, wenn ich die kleine Stute reiten möchte. Er ist ohne Probleme wieder belastbar und dies bereits ein Jahr nach der Auswilderung.

Diese für mich wirklich nur kurz angerissenen und bewegenden Erfahrungen alleine könnten mich wiederum veranlassen auch darüber ein Buch zu schreiben… wer weiß, vielleicht werde ich das auch irgendwann tun.

Paschel: Das ist ein Happyend, wie ich es schon lange nicht mehr gehört habe. Lassen sie uns dann eine Buchbesprechung machen!
Vielen Dank, liebe Monika.

Weiterführende Informationen: www.lgzaum.de

Fotoreportage

Mehr Bilder zum Beitrag in der Fotoreportage: Monika Lehmenkühler über die Kunst des gebisslosen Reitens von Bernd Paschel.

Anmerkung:

Der Beitrag wurde am 5.3.2019 im WELTEXPRESS erstveröffentlicht.