Trauma und Alltag in biblischen Erlösungsmythen, Neues Testament – Hat uns die Bibel noch mehr über unseren Alltag zu sagen? – Dreifaltigkeit Gottes, Erlösung, Kreuzigung und Auferstehung

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Frankfurt am Main, Deutschland (Salon Philosophique). Im biblischen Mythos findet die lang ersehnte Erlösung in der Kreuzigung und Selbstaufopferung von Jesus Christus statt, dem Gottmenschen, einem Zwitterwesen wie der traumatisierte Mensch, der das Göttliche und Menschliche, menschlich in seinen Schwächen, göttlich in seinen Geboten, in sich vereint. Gott stellt somit ein Symbol des schwer verletzten Menschen dar, der die Bedrohung mit aller Macht und Kontrolle verhindern muss und in seinen Geboten und Verboten zum Gott, zumindest für das kleine Kind, wird. Dies muss zur unantastbaren Religion erhoben werden, da im realen traumatisierenden Leben auch im Nachhinein von der Erlösung wenig zu spüren ist.

Einige mir wesentliche Aspekte möchte ich hervorheben:

  1. die Aufopferung und dadurch Erlösung
  2. der Gottmensch
  3. Vater – Sohn und Geist als eine Person. Die Dreifaltigkeit und der Heilige Geist im in der gegenseitigen Identifikation und. gemeinsamen Identität
  4. der latente Inzest
  5. Sohnesmord
  6. latenter Selbstmord
  7. die Kreuzigung
  8. die Auferstehung

1. und 2.  Die Aufopferung findet dadurch statt, daß im heutigen Alltag des traumatisierten Menschen das Kind, ähnlich wie Jesus Christus die Menschheit, seine Eltern vor den Bedrohungen, die diese in ihm sehen, zu schützen und von ihnen zu erlösen hat, für Dinge, deren Gründe und Zusammenhänge es nicht kennt und die für es nicht faßbar sind. Wie in der Schöpfungsgeschichte herrscht über die Hintergründe Dunkelheit, in die es Licht bringen muß. Andererseits zum eigenen Schutz, weil sonst die Entwertung an ihm fest gemacht wird, muß es sich von der elterlichen Bedrohung erlösen. Also hat das Kind durch seine göttliche Funktion sich selbst vor den elterlichen Bedrohungen zu schützen. Ein Mensch, vor allem ein Kind, ist in dieser Aufgabe völlig überfordert. Diesen Schutz kann nur ein Gott gewährleisten.

Dadurch wird das Kind zum Gott erhoben, der für das Schicksal und Wohlergehen seiner Eltern verantwortlich ist. Die Eltern, die in ihren Geboten und Verboten den einzig richtigen und wahren Weg erkennen, vor allem, wenn der Vater diese Aufgabe übernimmt, sind sozusagen Gottvater und das Kind ebenfalls ein Gott, Gottes Sohn. Für alle Teile stellt die Familie sozusagen die Menschheit dar, die es zu erlösen gilt. In der traumatisierten Familie findet somit eine Rollenumkehr, eine sogenannte Paternalisierung statt. Das Kind muß die Eltern vor den Bedrohungen schützen, die diese in ihm sehen, übernimmt also eine Eltern- und Schutzfunktion für die eigenen Eltern. Es ist also Vater und Sohn zugleich vor den geistigen Bedrohungen, symbolisiert im geistigen Bindeglied, dem Heiligen Geist.

Aus der Perspektive der gesamten Menschheit symbolisiert ein Mensch, der Sohn, der zum Gott erhoben wird, daß eine Menschheit ihre Befindlichkeit von einem einzigen Menschen abhängig macht, der somit ein Gott sein muß. Die gegenseitige Abhängigkeit bedeutet aber auch, daß Gott von einer Menschheit abhängig ist, die sich von ihm erlösen läßt. Bekanntermaßen tut sie das nicht, genau so wenig wie sich die Eltern dauerhaft erlösen lassen. Das Wesen der in den Neuronen eingeprägten Traumatisierung ist ja, daß sie in den verschiedensten Gewändern immer wieder auftaucht und die Erlösung erneut stattfinden muß, ein ununterbrochener Kreislauf von Bedrohung und Erlösung. Deswegen muß der Wunsch, göttliche Schutz und die Illusion zur Religion erhoben werden.

Häufig spielt sich im Alltag ab, daß das Kind, beileibe nicht nur in den Sohn, auch in die Tochter, alle Hoffnungen gelegt werden, etwa wenn Eltern Ziele, die sie selbst als traumatisches Erlebnis nicht erreicht haben, in ihre Kinder legen und von diesen beanspruchen – wofür haben sie sie denn geboren! – und ihr Wohlergehen von diesen abhängig machen, etwa bei Eislaufmüttern. Umgekehrt hängt das Wohlergehen des Kindes von der Erfüllung der elterlichen Ziele ab, wehe, wenn nicht, und es gerät in den unauflöslichen Zwiespalt, wenn es nach eigenen Wünschen glücklich zu sein versucht – an ihm werden Vorwürfe wie Egoismus oder Rücksichtslosigkeit festgemacht – , andere unglücklich zu machen oder eigene Ziele aufzugeben und dadurch selbst unglücklich zu werden. Die Erlösung bedeutet also den eigenen Untergang.

Die Selbstaufopferung als Erlösung für die Menschheit aufzufassen, kann man auch in alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungen und Begebenheiten sehen. Verantwortung für andere zu übernehmen, erlöst und befreit diese von der Eigenverantwortung, vor allem, wenn diese ihnen als schwierig und unlösbar erscheint. Wenn jemand in der Sündenbockstrategie die Schuld übernimmt, sind die Anderen von der Schuld erlöst und brauchen sich nicht mehr ihrer eigenen Anteile als Beitrag zum unglückseligen Geschehen zu schämen. Wenn jemand oder eine Gruppe wertlos und rechtlos sind, haben die Anderen um so mehr Wert und Rechte. Der Eine oder die Gruppe opfern sich für die Anderen auf. In dieser Traumatisierung findet eine Aufspaltung statt, und die tödliche, existentielle Bedrohung, der Teufel,  wird zum Schutz und zur Sicherheit in Grandiosität abgewehrt und umgewandelt.

3. Durch die Übernahme der Bilder entsteht eine geistige Gemeinsamkeit, der Heilige Geist. Diese geistige Gemeinsamkeit wird als ein eigener Gott im Neuen Testament dreifaltig dargestellt, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, in einer Person in Personalunion. Die Wurzeln der Dreifaltigkeit sehe ich darin, daß durch die gegenseitigen Identifikationen eine gemeinsame Identität entsteht, durch die Übernahme des fremden Selbst in der Traumatisierung, der Aufhebung der persönlichen Unterschiede diese im gemeinsamen menschlichen Geiste sozusagen eine Person darstellen. Körperlich als Personen und Menschen stellen sie eigene Personen dar. Dieses geistige Bild wird im biblischen Mythos sozusagen als eigener und ein einziger Gott dargestellt, der Geist als Bindeglied verschiedener Personen.

Dieses Bild weist im Alltag auf die geistigen Gemeinsamkeiten und fehlenden zwischenmenschlichen Differenzierungen des traumatisierten Menschen hin (siehe die Beichte!). So können etwa durch den gemeinsamen Geist verursachte Erkrankungen von den Familienmitgliedern gemeinsam erlebt werden und Krankheiten gemeinsam gehäuft auftreten. – Dazu ein Beispiel für den gemeinsamen Geist und das gemeinsame Leiden: Eine Patientin sagte, sie leide darunter, daß ihre Mutter leide, daß ihr Leben verpfuscht sei (wessen Leben, das der Mutter oder Tochter? Gemeint war für die Mutter das der Tochter. In meinen Augen war sie in Anbetracht der Umstände recht erfolgreich (Studienabschluß, Berufsausübung). – So leidet das Kind an der Depression oder Drogensucht der Mutter, diese wiederum leidet an dem Leiden des Kindes und wird vermehrt depressiv oder muß Drogen oder Glückspillen zum Ausgleich nehmen, einem Teufelskreislauf im Geiste.

4. Diese Dreifaltigkeit und die Beziehung zu Maria, der Mutter kann auch unter der Perspektive des Inzests, deswegen ist die Reinheit und Enthaltsamkeit besonders wichtig, betrachtet werden. Vater und Sohn als eine Person stehen dafür, daß beim Inzest und sexuellen Mißbrauch wenig zwischen Vater und Sohn und Mutter und Tochter unterschieden wird. Der sexuelle Mißbrauch zwischen Vater und Tochter, lange tabuisiert, ist ja inzwischen allgemein bekannt.  Die sexuelle Beziehung der Mutter sowohl zum Vater als auch zum Sohn und vom Vater zum Sohn sind noch völlig tabuisiert und werden durch den Heiligen Geist vergeistigt und nicht in einer realen körperlichen Beziehung mit körperlichen Folgen wie in der Ödipussage dargestellt. Somit wird die häufige Realität des Inzests in traumatisierten Familien verleugnet. Die Jungfräulichkeit Mariä wurde deswegen in der katholischen Kirche sogar zum Dogma erhoben. Der Heilige Geist stellt also in dieser Interpretation einen, vielleicht bisher vernachlässigten, wichtigen Teil des christlichen Erlösungsmythos dar.

5. Das Thema des Sohnesmordes erscheint wieder, wie in der Ödipussage und bei Abraham und Isaak, natürlich zum guten Zweck der Erlösung, der die Mittel heiligt. Zur Verhinderung des Bösen, der Traumatisierung, der Erbsünde und des Irdischen Jammertales opfert der Vater als Sühneopfer seinen Sohn auf. Für was hat Gottvater Sühne zu leisten?  Der oft von den eigenen Eltern traumatisierte Mensch nimmt sich selbst als schuldig war und muß Sühne als Wiedergutmachung leisten, um bei seinen Eltern wieder in Gnade aufgenommen zu werden. Wegen der Schwere der Schuld muß Gott sein Allerliebstes, seinen eigenen Sohn hergeben. Dadurch lädt er neue Schuld auf sich, sodaß der Teufelskreis sich wiederholen mag. Er wird im allgemeinen nicht die Gnade eines Abraham erhalten, bei dem Gott auf die Sühne verzichtet hat. Insofern finden sich im Alten Testament Hinweise auf eine Aufhebung und Verzicht von Schuld. Um sich von der Schuld zu befreien, wird diese (Un)Tat nach außen delegiert an den regierenden König, Herodes, und seine Häscher, den Vasallen der Römer, und in der Geschichte weiterhin an die Juden, die dafür über die Geschichte hinweg büßen müssen.

Der elterliche und kindliche Zwiespalt geht weiter. Erfolg führt bei eigenem Mißerfolg zu destruktivem Neid und in der Dreierbeziehung zu Eifersucht. Erfolg und Wohlergehen wird als Frevel bestraft. Aus dieser Sicht wird der Sohn aus Rivalität, Neid und Eifersucht ermordet wie häufig im Alltag, siehe Heilige Familie, da er von Maria, der Mutter zum Gott und Erlöser hochgelobt wird, während der Vater entwertet daneben steht und sich an seinem Sohn rächen muß. Überhaupt, wenn ein Mensch zum Erlöser für die Menschheit auserkoren und erhoben wird, kann dies nur ein Gott sein. Dies bedeutet für einen Menschen frevelhafte Gottgleichheit, die nur mit dem Tod, damals üblich mit der Kreuzigung, bestraft werden kann. Ein Mensch, der über das Wohlbefinden einer Menschheit und als Kind über das Wohlergehen seiner Eltern bestimmen kann, erhält eine ungeheure göttliche Macht.

6 und 7.   Schon die Geburt von Jesus wird verklärt, in Armut, im Stall, einem wegweisenden Stern, den Heiligen 3 Königen. Über 30 Jahre seines Lebensweges wird nichts berichtet. Evtl. sind diese tabuisiert, da er ein menschliches Leben geführt hat, das wenig zu einem Erlöser paßte, und möglicherweise ist er vom Saulus zum Paulus mutiert wie einer seiner Jünger. Spekulationen, daß er mit Maria Magdalena ein Verhältnis hatte, stehen im Raum. In der heutigen Realität haben katholische Priester, Gottes Stellvertreter,  Partnerinnen, zeugen Kinder und vergreifen sich an Kindern, wie ab und zu mal heraus kommt. Das führt sogar so weit, daß in Lesbenkreisen empfohlen wird, als Vater für das erwünschte Kind einen katholischen Priester zu suchen, da die Kirche gut zahle. Für ein sündiges Leben von Jesus spricht, daß er dieses traumatisierte Leben zu einem Gegenbild wandelte, in dem er mit weisen, aber widersprüchlichen Lehren durch die Lande zog, eine Jüngerschar um sich sammelte, wie viele Religionsstifter. Wenn jemand die absolute Wahrheit verkündet, wird er von den Einen als Gott verehrt, von Anderen verurteilt und gekreuzigt, vor allem von denen, die die absolute Wahrheit und Macht in den Händen halten und eine konkurrierende Macht der absoluten Wahrheit nicht zulassen können. Die Juden hatten ja schon einen König.

Einen weiteren Hintergrund der Kreuzigung sehe ich in der Strafe für die Hybris, daß ein Mensch sich zum Gott erhoben hat. Die absolute Wahrheit bedeutet eine Todesbedrohung für Mannig- und Vielfältigkeit, Subjektivität und Selbstbestimmung, verursacht Kampf, Zwist und Streit. Insofern ist sie kreuzigungswert. Vom Zeitpunkt seiner Verkündigung an haben Jesus und vermutlich ebenfalls seine Gefolgschaft schon weite Bereiche ihres selbstbestimmten Lebens, dies bedeutet einen Tod ihres inneren Lebens, verloren  – für alle Seiten eine Traumatisierung. Insofern ist der Verlust des körperlichen Lebens nur konsequent. Durch die Provokation der Machthaber hat er den Tod regelrecht gesucht. Schließlich wußte er, was ihm blühte. Ich sehe bei vergleichbaren Hintergründen darin eine mögliche Theorie des Selbstmordes. Und dies noch im Sinne einer göttlichen Verherrlichung zu tun, ist ein ungeheurer narzißtischer göttlicher Gewinn, und dieses Märtyrertum wird von vielen als göttliches Heldentum (siehe die Selbstmordattentäter) verehrt. Und gleichzeitig wurde er noch von diesem aufopferungsvollen Leben erlöst. Im Volksmund spricht man lapidar davon, aus einer Not eine Tugend machen.

8. Nun kann ja ein Gott nicht so schmählich und demütigend umkommen. Das kann nur ein Mensch. Die Geschichte wäre zu Ende. Er muß in Glorie als Gott wieder auferstehen. Dadurch bleibt uns das Wort als Abwehrstrategie der Angst und Bedrohung  und somit die Traumatisierung durch die Abwehrstrategie erhalten, wie die weitere Geschichte der Menschheit zeigt. Die Erlösung geht weiter und findet immer neue Götter, wenn diese auch nur Geld, Macht, Schönheit oder anderes sind. Diese Erlösungen tragen wiederum den Teufel in sich, wenn sie zur Absolutheit erhoben werden und nicht im zwischenmenschlichen Kontext von gegenseitiger Achtung und gemeinsamen Genuß eingebettet sind.

Ich hoffe, es wird klar, daß ich religiöse und mythische Erzählungen ausschließlich unter dem Gesichtswinkel der Traumatisierung und ihrer Folgen, ihren tragischen Verstrickungen und Kreisläufen betrachtet habe und Gott und den Eltern keinerlei Schuld zuweisen möchte. Alle sind halt so geprägt, daß sie nicht oder kaum anders können.

Literatur:

Die Bibel, Neues Testament

Raguse, H.: Psychoanalytische und biblische Interpretation. Eine Auseinandersetzung mit Eugen Drewermann´s Auslegung der Johannes-Apokalypse, Stuttgart u.a. 1993

Assmann, H.: Die Götzen der Unterdrückung und der befreiende Gott, Münster 1984

Eugen Drewermann´s Auslegung der Johannes-Apokalypse, Stuttgart u.a. 1993

Rebell, W.: Psychologische Bibelauslegung. Möglichkeiten und Grenzen: BiKi 44 (1989) 111-117

Yorick Spiegel/Peter Kutter: Kreuzwege Theologische und psychoanalytische Zugänge zur Passion Jesu, Kohlhammer, ISBN 3-17-014405-7