Über „die Alten Meister“ und das Buch „Wo ist die Reitkunst?“ Maksida Vogt im Interview

0
1452

Frankfurt am Main, Deutschland (Salon Philosophique). Bernd Paschel sprach mit Maksida Vogt über ihr Buch „Wo ist die Reitkunst? – Ein neuer Blick auf die Alten Meister“.

Maksida Vogt legte den Grundstein ihrer reiterlichen Ausbildung im Bereich der klassischen Dressur. Schnell jedoch entschied sie, ihr Pferd ohne Gebiss zu reiten und entdeckte die Freiheitsdressur für sich. Ihre Kenntnisse in NLP und psychologischer Kinesiologie verhalfen ihr zu Einsichten, die es ihr leicht machten ihren Pferden Lektionen der Hohen Schule zu vermitteln. Maksida Vogt lebt in Deutschland und Ungarn, wo sie ein Rehabilitations- und Seminarzentrum führt. Ende 2008 gründete sie Academia Liberti um das Wissen um die artgerechte Pferdehaltung intensiv verbreiten zu können und den Pferdebesitzern zu einem besseren Verständnis und Umgang mit ihren Pferden zu helfen. Namenhafte Wissenschaftler wie Dr. Cook, Dr. Strasser, Dr. De Beukelaer, die mit ihrer Arbeit einen unschätzbaren Beitrag leisten, haben die Schirmherrschaft für Academia Liberti übernommen. Maksida Vogt kombiniert ihr medizinisches und spirituelles Verständnis mit dem Wissen um das Wesen Pferd, Kommunikation und Ausbildung auf der Basis des freien Willens und bietet somit einen einzigartigen, ganzheitlichen Ansatz rund ums Pferd. Mit ihren Artikeln, Workshops und ihrer Arbeit hilft sie ein neues Verständnis für das Pferd einzuleiten wie auch andere Bewusstsein-Ebenen für Pferdebesitzer zu öffnen. Seit nun 4 Jahren erforscht sie auch die Wildpferde intensiv und bereitet ein Buch und ein Film über sie vor.

Paschel: Liebe Maksida, Sie richten in Ihrem neuen Buch ein Vorwort an Ihre „Geliebten Leserinnen“. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie mehr Feinde als Freunde unter den Reitern haben, nach diesem Buch besonders unter den Vertretern der klassischen Dressur, wo Sie selbst Ihre Wurzeln haben.

Vogt: Man könnte es so meinen, aber diesen Eindruck habe ich ganz und gar nicht. Aus vielen Emails, die mich erreichen, lese ich tatsächlich, dass immer mehr Reiter erwachen und tatsächlich sehen, was sie bis dato ihren Pferden angetan haben. Oft sitze ich tief gerührt vor dem Computer und lese diese Emails in welchen sich die Menschen bedanken und ihre Geschichte erzählen. Da kommt erwachte Menschlichkeit rüber, da spürt man, wie schön die Menschen sein können, wenn sie bereit sind, tief in sich selbst zu schauen und zu erkennen, was und warum sie so etwas dem geliebten Pferd angetan haben. Alle Pferdemenschen tragen tiefen Schmerz in sich, den muss man erst zulassen und heilen können, bevor man erkennen kann, wie das Pferd sich fühlt. Bis zu diesem Zeitpunkt verteidigt man das übliche Reiten und Benutzen der Pferde, wie man nur kann. Und wenn man es erkannt hat, dann dauert es meist noch eine Zeit lang, bis man aus der Bedürftigkeit heraus kommt und die Stärke in sich selbst entwickelt, damit man das Pferd nicht mehr so benutzen muss. Diese Phasen gehen alle erwachte Reiter durch. Es ist sehr schön ein Teil dieser Heilung zu sein.

Paschel: In meiner Anfangszeit habe ich noch „Alte Meister“ live erlebt, wie Reiner Klimke und Josef Neckermann. Schon damals beschlich mich ein ambivalentes Gefühl als junger Sportsstudent beim Anblick dieser Olympioniken, das ich aber nicht verbalisieren konnte. Ich erspürte die Verspannung und den Schmerz, der durch Kandare und Sporen erzeugt wurde, gleichzeitig war ich fasziniert von der Kraftausstrahlung, die Ahlerich hatte.

Vogt: Ja, das kann man sehr deutlich spüren – diesen Schmerz. Wir leben in einer Zeit, in der Menschen abgestumpft werden um nicht mehr spüren zu können. Wenn man erkennen und spüren kann, dann könnte man so etwas nicht mehr tun. Es werden falsche, künstliche Prioritäten vermittelt – Geld, Medaillen, Pokale, künstliche Bewunderung – alles auf Kosten der Pferde, weit weg von Menschlichkeit, Empathie, Natur und wahrer Stärke in sich selbst. Aus diesem Milieu muss man erst rauskommen können. Dann wird man auch den Unterschied zwischen Oberflächlichkeit und einem tiefen Verständnis und Erfüllung wahrnehmen können.

Paschel: Mit diesem Buch haben Sie mir sehr geholfen, denn mir sind die Wurzeln unseres Handelns in allen Bereichen wichtig.
Sie zeigen die Widersprüchlichkeit auf, die uns im Umgang mit Pferden begleitet. Meine Gedanken waren bisher von der Skala der Ausbildung bestimmt und bestenfalls bis zur Heeresdienstvorschrift (HDV 12) zurückgeführt in der Geschichte der Kavallerie. Sie greifen den „Heiligen“ Xenophon an!

Vogt: In der Tat. Ich wollte ein Buch schreiben, das ich in der Pferdeszene vermisst habe. Ein Buch, das zeigt, was diese alten „Meister“ tatsächlich getan haben und dass dieses unvereinbar ist mit unserem Verständnis des Tierschutzes heutzutage. Auch mir wurden alte „Meister“ als Vorbild vermittelt. Auch ich habe diesen Geschichten geglaubt. Wir Menschen laufen sehr oft einfach mit der Herde und hinterfragen nicht. Wir können so weit gehen, dass wir aus Unwissenheit die angeblichen Vorbilder verteidigen. Wir verteidigen diese Überzeugungen bis zu dem Moment, wo wir sie hinterfragen. Denn wenn man nur ein bisschen recherchiert, dann wird man alle diese Fakten entdecken können. Für manche bricht ein Weltbild zusammen, das kann sehr schmerzhaft sein. Wir haben Reiter auf den Workshops gehabt, die angefangen haben zu weinen, ja, fast zusammengebrochen, als sie sich erlaubt haben, die Masken abzulegen. Und dann hinterfragt man. Das ist aber in der klassischen Reitszene sehr unerwünscht. Dort braucht man Reiter die befolgen und nicht solche, die selbst denken und hinterfragen.

Paschel: „Zuckerbrot und Peitsche“ waren also ein Prinzip bei Xenophon. Gilt das nicht heute noch, sogar in der Erziehung von Kindern?

Vogt: In der Reiterei gilt oft nur Peitsche – bis das Pferd gebrochen wird und gehorchen muss. Das nennt man dann „ausgebildetes Pferd“. Wenn man die Gelegenheit hat, einen anderen Umgang mit den Pferden zu beobachten, wie zum Beispiel in den Zentren der Academia Liberti, dann ist das eine gänzlich andere Welt. Je mehr solche Ställe es gibt, desto mehr können die Menschen diesen Unterschied erleben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man danach wieder in einen üblichen Reitstall gehen möchte.

Paschel: Auf der Grundlage von geschichtlich nachweisbaren Fakten nennen Sie exemplarisch drei Paradoxien in der Kunst, der Wissenschaft und der Praxis der „Feinen Hilfen“.

Vogt: Wenn man anfängt zu hinterfragen und vor allem, wenn man sich selbst erlaubt, die alte Glaubenssätze los zu lassen – dann öffnet man sich neue Türen. Dann wird alles so klar, so deutlich und so logisch. Das Gefühl in unserem Herzen stimmt plötzlich mit allem überein, man gewinnt so viel Klarheit, man entdeckt so viel Güte in sich selbst. Das alles darf nicht in der Reiterei zum Vorschein kommen, Reiter befinden sich ständig in einem unnatürlichen Konflikt. Viele spüren sich selbst nicht mal mehr um sich dessen bewusst zu werden. Viele spüren es seit Jahren, hatten aber keine Möglichkeit dieses zu ändern, es fehlt an Vorbilder, es fehlt an Visionen. Die gängigen Pferdezeitschriften berichten immer wieder über die üblichen Reiterschemen, die Menschen bleiben in dieser kranken, unnatürlichen Welt und Umgang mit dem Pferd gefangen. Auf meinen Workshops öffnen sich die Menschen, berichten über ihren inneren Schmerz, über ihre Krankheiten, die sie zu den Pferden geführt haben, die sie bei den Pferden stückweit heilen. Jeder, der es will, hat die Möglichkeit die Masken, die Paradoxien in der der Reiterei zu durchschauen. Und jeder hat auch die Möglichkeit innerlich zu heilen. Nur Mut und Selbstvertrauen!

Paschel: Die „Harmonie von Reiter und Pferd“ ist ein weiteres Beispiel für eine Paradoxie!

Vogt: Diese Harmonie existiert nur in den Köpfen der Reiter. Wenn man das Pferd anschaut, sieht man nur Schmerz. Wir Menschen können uns Vieles einreden oder sind, je nach dem wie heil wir sind, unfähig manches zu sehen. Lächelnde Menschen auf gequälten Pferden mit Gebissen. Ich verstehe das sehr gut, ich war selbst an diesem Punkt. Und ich brauchte Jahre um mich selbst zu befreien. Die Zeit gestehe ich jedem zu. Manches sitzt tief, mache Sachen brauchen einfach Zeit. Jeder, auch der kleinste Schritt ist wichtig. Lebensbedingungen des Pferdes verbessern ist schon mal ein sehr wichtiger Schritt. Das Pferd aus der Box befreien, einen guten Offenstall finden, Heu zur ständigen Verfügung anbieten, sorgen, dass das Pferd die Sicherheit einer Herde spürt, grasen kann, sich als Pferd fühlen kann. Das sind schon enorme Verbesserungen, der eine Schritt führt zum anderen. Die Gebisse weg lassen, Sattel mit dem fürchterlichen Sattelgurt weg lassen – wieder ein Stück Verbesserung für das Pferd. Dann ist man schon auf dem Weg, das Pferd führt dann einen, man heilt immer mehr innerlich, kann immer mehr sehen. Neue Türen öffnen sich und man kann alle Paradoxien so klar sehen, man fragt sich nur, wie konnte man so lange blind sein. Man lernt auch den Unterschied, wenn ein Pferd einem etwas mit freien Willen schenkt oder wenn man es erzwingen muss. An dem Punkt findet eine tiefe Transformation statt.

Paschel: Als ehemaliger Kampfsportler finde ich sehr oft typische Verhaltensformen, die man im Zweikampf Mensch gegen Mensch vorfindet. Menschen steigen durchgeschwitzt vom Pferd, weil sie in permanenter Anspannung waren in ihrem Kampf gegen die vom Pferd missverstandenen „Feinen Hilfen“.

Vogt: Eine sehr gute Beobachtung. Man sieht diesen Menschen zu und empfindet ein tiefes Mitgefühl. So viel Zeit mit dem wunderbaren Wesen Pferd verbringen und nicht fähig sein, zu sehen, wie sie wirklich sind. Wie viel sie einem helfen können, wie sie einen führen können, was sie einem schenken können – wenn man sie nur als Pferd behandeln würde. Sich von dieser Gewalt an Pferden lösen, in eine andere Welt eintauchen und lernen. Man erinnert sich an die Zeiten, als man selbst so mit dem Pferd umgegangen ist. Ich gehe dann gelegentlich zu meinem Pferd und entschuldige mich für diese Zeiten. Keine Sekunde Zeit ist vergeudet, wenn man sie mit den freien Pferden verbringt, aber jede Sekunde des Lebens ist vergeudet, wenn man sie damit verbringt, das Pferd zu irgendwas zu zwingen, was es von alleine nie tun würde.

Paschel: Leider können wir hier nicht alle Beispiele nennen, wo Sie einen neuen Blick auf die alten Meister richten, denn Ihr Buch soll ja gelesen werden. Ich kann es allerdings nicht allen Reitern empfehlen, sondern nur denen, die noch etwas Fähigkeit zur Selbstkritik in sich haben.

Vogt: Ich finde, es ist immer gut, verschiedene Meinungen zu hören. Nicht nur solche, die das eigene Weltbild bestätigen, sondern auch solche, die es hinterfragen. Ich glaube, das ist für das innerliche Wachstum und Weiterentwicklung sehr dienlich.

Paschel: Im zweiten Teil Ihres Buches stellen Sie sich die wichtige Frage: Wie kann eine Veränderung im Umgang mit Pferden stattfinden?
Dazu fällt mir ein der Satz: Das Sein bestimmt das Bewußtsein.
Und Sie leben in Deutschland und Ungarn.
Ich hatte lange Jahre einen ungarischen Olympiasieger Istvan Szondy als Fechtmeister und Kollege und war auch oft am Balaton und in Budapest. Können Sie sagen, wodurch Ihr Bewußtsein bestimmt ist?

Vogt: Mittlerweile durch ein sehr naturverbundenes Leben. Ich bin sehr behütet in der intellektuellen Elite einer Stadt aufgewachsen. Mein Leben war den Standards der Zeit und der Umgebung angepasst – gute Ausbildung, gut versorgt, guter Konsument, eingefügt. Oberflächliche Partys, Gucci, Prada, who is who, etc. Innerlich verhungert man, spirituell ist man nicht erfüllt. Und natürlich stumpft man ab, je weiter man sich von der Natur entfernt.

Paschel: Und jetzt?

Vogt: Tiere und vor allem Pferde waren meine Rettung. Die Lebendigkeit des Menschenseins erwacht dann, wenn man sich der Natur nähert. Zu verstehen, was Leben bedeutet, wahrhaftig ein Leben zu leben – das sind für mich die Künste, die es sich zu leben lohnt. Und das ist untrennbar mit der Natur und den Tieren verbunden. Mit der Pferdeseele zu verbinden, in einer freiwilligen Einheit zu verschmelzen – das ist die wahre Kunst. Das hat aber gar nichts mit der gängigen Reiterei zu tun. Ganz im Gegenteil.

Paschel: Welches Feedback bekommen Sie in Ungarn mit Ihren „modernen“ Vorstellungen?

Vogt: In Ungarn gibt es eine Gruppe Menschen, die schon länger alternativ mit den Pferden arbeiten und sich vor allem dafür engagieren, dass die Pferde barhuf und gebisslos gehalten und behandelt werden. Mit diesen Menschen waren wir durch Academia Liberti schon länger verbunden. Die Ideen und Konzepte der Academia Liberti verbreiten sich sehr stark in den letzten Jahren auch in den Reitställen (wie zum Beispiel natürliche Minerale nach Academia Liberti, da bekomme ich sehr viele Nachfragen – demnächst erkläre ich viele diese Konzepte auf meinem Youtube-Channel). Ansonsten ist die erste Generation Academia Liberti Coachs dieses Jahr mit ihrer Ausbildung fertig und wir übernehmen die Schirmherrschaft für weitere Ställe in Deutschland. In der Welt passiert so viel, die Menschen erwachen zu verschiedenen Lebensthemen, da ist es ganz natürlich, dass dies auch in der Reitszene passiert. Dadurch, dass wir diese Themen und Konzepte schon seit gut einem Jahrzehnt ansprechen und aufklären, ist es auch ganz natürlich, dass wir als erster Ansprechpartner dienen und sehr viel Zulauf haben. Das freut mich sehr, denn wir erschaffen eine neue, heile Pferdewelt zusammen.

Paschel: Sie bieten ein Workshop an in der atemberaubenden Welt der Wildpferde in Bosnien?

Vogt: Genau. Meine Wildpferde-Workshops sind da ein sehr bereicherndes Erlebnis, auch viele Reiter profitieren sehr davon. Die unverfälschte Neugierde der Wildpferde zu erleben, ihr tiefes ehrliches Vertrauen, die Freiheit des Geistes – all das trägt dazu bei, dass man sich innerlich befreit. Diese Workshops sind wirklich etwas ganz besonderes, die Menschen gehen so bereichert nach Hause, bedanken sich in Emails. Man spürt die Wärme der Menschlichkeit, welche die Wildpferde entfacht haben. Ich selbst habe nie etwas so befreiendes erlebt, als die Wildpferde zu erleben und mit ihnen zu wandern. Einfach atemberaubend.

Paschel: Für den zweiten Teil Ihres Buches möchte ich mit Ihnen ein Wortspiel durchführen: Ich beginne – Sie beenden den Satz nur kurz!

Paschel: Die alten Meister sind …

Vogt: …ein veraltetes Konzept, das in die Vergangenheit gehört.
Wir leben jetzt, wir haben uns weiterentwickelt, wir haben es nicht mehr nötig solche Gewalt an den Pferden zu praktizieren.

Paschel: Bewusstseinsänderung geschieht …

Vogt: …manchmal von innen und manchmal wird sie von Außen eingeleitet. Danach verstehen wir mehr, danach können wir mehr erkennen und sehen. Danach wird Vieles klarer. Danach können wir anders handeln. Danach sind wir stärker.

Paschel: Weiterentwicklung ist …

Vogt: … eng mit der Bewusstseinsänderung verbunden. Wenn ich mich weiter entwickele, dann sehe ich die Welt und das Leben anders als vorher. Ich bin weiser, ich bin stärker, ich bin auf einem anderen Level. Das ist sehr bereichernd.

Paschel: Eigene Gefühle ändern sich.

Vogt: … je mehr Wissen ich mir aneigne, je mehr ich es umsetze. Vor allem ändern sich die eigene Gefühle, je mehr ich selbst erfahre. Wenn ich eine Meinung habe, dann kann man mich vielleicht manipulieren oder erschüttern. Aber wenn ich eigene Erfahrung mache (z.B. Pferdefütterung, Hufe nach Academia Liberti Konzept, etc.) dann ist das unerschütterlich. Weil man es dann weiß und nicht mehr glauben muss. Natürlich vorausgesetzt, dass man auch von dementsprechend wissenden und fähigen Menschen lernt.

Paschel: Vielen Dank für das wunderbare Gespräch.

Vogt: Ich danke Ihnen für die wunderbare Fragen.

Weiterführende Literatur: http://www.academialiberti.de/de/workshops/47-workshop-wildpferde-m