Über das „Wohlergehen der Pferde“ – „Horse Team Work“ im Interview

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Mittenaar-Bellersdorf, Deutschland (Salon Philosophique). Bernd Paschel sprach mit PferdefreundInnen der Gruppe Horse Team Work (HTW).

Paschel: Liebe HTW- PferdefreundInnen. Die Ethischen Grundsätze der FN für Pferdefreunde, die ich vor dem Gespräch verteilt habe, stehen unter dem Motto: „Das Wohlergehen des Pferdes ist das höchste Ziel“. In der Realität wird von der FN selbst permanent dagegen verstoßen.
Prof. Cook, der Euch sicher ein Begriff ist, nennt das einen Anachronismus des 21. Jahrhunderts, wenn Reiterverbände sich gleichzeitig als Hüter des Tierschutzes gebärden.
Ihr seid auch PferdefreundInnen, die sich allerdings in einer unabhängigen Initiative für das Wohl des Pferdes zusammengefunden haben.
Aus Zeitgründen können wie nicht alle Aspekte diskutieren, die den allgemeinen Reitbetrieb und das Sportreiten im Besonderen in das Visier von Tierschützern gebracht haben.
Wie mir aufgefallen ist, reitet ihr überwiegend gebisslos, alle ohne Hufeisen und Eure Pferde stehen in Herdenhaltung auf einer großen Koppel.
Ich vermute, über Elektroschocks, Doping und andere vergleichbare Methoden brauchen wir hier nicht zu sprechen. Reine Boxenhaltung ist für Euch sicher auch ein „No Go“.
Aber was ist überhaupt „artgerecht“?

Sonja mit Connemara „Summit“ beim Überqueren von fünf variablen Stangen, Zügel hingegeben, das Pferd geht ohne reiterliche Einwirkung in die Vorwärts-Abwärts-Dehnung. BU: Bernd Paschel, © 2016 Foto: Bruno Heinrich
Sonja mit Connemara „Summit“ beim Überqueren von fünf variablen Stangen, Zügel hingegeben, das Pferd geht ohne reiterliche Einwirkung in die Vorwärts-Abwärts-Dehnung. BU: Bernd Paschel, © 2016 Foto: Bruno Heinrich

Sonja: In der Tat, reine Boxenhaltung ist für mich ein „No Go“ und absolut rückständig. Als ich eine Fortbildung für Pferdehalter beim hessischen Amt für Landwirtschaft besucht habe, wurde gelehrt, dass ein Pferd die drei „L´s“ braucht. Es braucht Licht, es braucht Luft und es muss Laufen. Und dieser Lehrgang ist schon knapp 20 Jahre her!! Ich kann den drei L´s lediglich hinzufügen, dass noch der Sozialkontakt (eine Herde) extrem wichtig ist.
Ich lasse es mir nicht nehmen unsere Herde regelmäßig auf der Koppel  einfach nur zu beobachten – beim Grasen, Spielen, Ruhen, der Körperpflege – für mich reines Seelenwellness. Der Anblick eines Pferdes in der Box macht mich eher traurig. Vor zwei Jahren hatte eines unserer Pferde einen Riss im Knochen  und musste für sechs Wochen mit Gips in eine Box. Diese Zeit war echt eine Qual. Immer eines der anderen Pferde stand im Paddock davor, um wenigsten den Sozialkontakt über Nüstern und Kopf zu pflegen, ausserdem haben wir mehrmals am Tag die Stute „bespasst“ mit Spielchen, Streicheln, Putzen oder waren einfach nur anwesend. Eine anstrengende Zeit für alle Beteiligten, die aber damit belohnt wurde,  dass das Pferd diese lange Standzeit ohne physische oder psychische Schäden überstanden hat.
Leider gibt es aber auch an der „Freilufthaltung“ etwas zu bemängeln … wenn zum Beispiel Pferde auf der Wiese bei 30° und mehr ohne Sonnenschutz vor sich hin „brutzeln“ oder ohne Unterstand bei Dauerregen erkranken, ist das auch fragwürdig. Hier sollte vom Gesetzgeber her der Bau von Witterungsschutz vereinfacht werden. Jedes Jahr erscheinen in diversen Zeitungen Artikel etwa mit Titeln wie: „Witterungsschutz für Weidevieh (worunter auch Pferde fallen) unerlässlich“. Der letzte Satz eines solchen Artikels: So kann als Fazit gelten: Durch eine tierschutzgerechte Ausgestaltung der Haltungsbedingungen und durch tiergerechte Schutzeinrichtungen kann der Mensch viel zum Wohlergehen seiner im anvertrauten Tiere beitragen – und diese bedanken sich dafür in aller Regel mit guten Leistungen!
Soweit die Theorie! In der Praxis sieht es leider in vielen Städten und Gemeinden so aus, das selbst auf eigenem Land kein Witterungsschutz gebaut werden darf, wenn man kein Landwirt oder Nebenerwerbslandwirt ist. Selbst fahrbare Weidehütten oder wiederabbaubare Weidezelte sind oft nur zeitlich begrenzt erlaubt. In dieser Angelegenheit kann man nur auf  Besserung hoffen.

Carmen lobt ihre 26-jährigen Fuchsstute „Taura“, die noch etwas unsicher auf der nassen Plane steht. BU: Bernd Paschel, © 2016 Foto: Bruno Heinrich
Carmen lobt ihre 26-jährigen Fuchsstute „Taura“, die noch etwas unsicher auf der nassen Plane steht. BU: Bernd Paschel, © 2016 Foto: Bruno Heinrich

Carmen: Als praktizierende Hufheilpraktikerin nach  der Methode von Dr. Hiltrud Strasser ist für mich das „Artgerechte“  ein Grundpfeiler der Hufpflege, da wir ein ganzheitliche Sicht auf das Pferd haben.
Meine alternative Einstellung zu Barhuf und Gebissen begann vor ca. 15 Jahren.
Wie so oft kommt man zu bestimmten Sachen über die Probleme mit dem eigenen Pferd.
Meine Stute war, wie auch schon immer üblich, rundherum ganzjährig beschlagen. Ich habe sie seit sie 3,5 Jahre alt ist. Mit 12 lief sie leider sehr stockig, stolperte viel und hatte so gar keinen Spaß mehr an der Bewegung.
Nach vielen Recherchen stieß ich auf die Methode von Frau Dr. Straßer und besuchte ein Wochenendseminar bei Peter Speckmeier, der ihre Methode lehrte.
Alles war so einleuchtend und einfach zu verstehen und ich hatte so ein schlechtes Gewissen, dass ich all die Jahre nicht die Bedürfnisse für mein Pferd erfüllt hatte und nur an meinen Spaß gedacht hatte. Leider war kein Hufheilpraktiker in meiner Nähe, der die Bearbeitung übernehmen konnte.
So entschloss ich mich diese selbst zu machen. Die Umstellung war lang, da ich recht übermotiviert war und oft zu viel machte. Nach 2 Jahren lief mein Pferd endlich wieder auf allen Böden und meine Ausbildung war zu Ende.
Ich würde mein Pferd nie wieder dauerhaft in einer Box halten und permanenten Hufschutz anbringen lassen. Dafür sind die Schäden, die am Huf, auch am falsch bearbeiteten Barhuf, entstehen einfach zu groß.
Zu dieser Zeit kamen wir auch in die Diskussion über das Reiten mit Gebiss. Auch darüber hatte ich mit aus Gewohnheit keine Gedanken gemacht.
Die Forschungen von Prof. Cook über Eisen im Pferdemaul ließen mich auch das recht schnell beseitigen. Der dringlichste Grund dafür war, dass ein Pferd ja den Kaureflex angeregt bekommt, wenn es ein Gebiss im Maul hat. Es produziert Speichel, den es aber aufgrund der Bewegung beim Reiten nicht abschlucken kann. Dieser läuft dann dem Pferd aus dem Maul und es kann nicht vernünftig atmen.
Schlussfolgerung für mich war daraus, das Gebiss muss aus dem Maul, da der Laufreflex mit dem Schluckreflex nicht kombiniert werden kann.
So habe ich bisher keinerlei Probleme mehr gehabt und sehr wenig Tierarztkosten oder andere Ausgaben gehabt. Meine Stute ist jetzt 26 Jahre alt und noch sehr fit. Einzig ihre Zähne machen mir ein wenig Sorgen und ich muss sie daher regelmäßig kontrollieren lassen, sie hat altersbedingt Zahnwurzelverdickungen an verschiedenen Schneidezähnen.

Sandra mit Haflingerstute „Ratina“ riecht am Brett, das später zur Wippe wird. BU: Bernd Paschel, © 2016 Foto: Bruno Heinrich
Sandra mit Haflingerstute „Ratina“ riecht am Brett, das später zur Wippe wird. BU: Bernd Paschel, © 2016 Foto: Bruno Heinrich

Sandra: Nein, Boxenhaltung geht gar nicht. Ich würde die drei „L´s“ von Sonja noch ergänzen wollen. Neben diesen Grundbedürfnissen Licht, Luft und Bewegung, ist eine richtige Nahrung, nämlich getreidefrei und möglichst eiweißarm mit viel Raufutterangebot wichtig. Pferde in freier Wildbahn fressen bis zu 15 Stunden am Tag. Frisches Wasser, Ruhe und Erholung sind außerdem wichtig. Wirklich Ruhe finden Pferde nur im Herdenverband, weil sie sich dann aufeinander verlassen können. Das seelische Gleichgewicht eines Pferdes hängt von sehr viel Faktoren ab. Wenn wir wenigstens einen Teil dieser Faktoren befriedigen, ist das artgerecht.

Kirsten: Seit 35 Jahren reite ich jetzt gebisslos und meinen Pferden geht es sehr gut dabei. Dr. Cook war mir damals noch unbekannt.
Am Anfang stand meine bewusste Abkehr vom „normal üblichen“ Reitbetrieb, der sich seitdem leider immer noch nicht wirklich geändert hat. Ich habe mich einfach von meinem damaligen Pferd leiten lassen und wir haben gemeinsam eine Reitform gefunden, in der wir uns beide wohl gefühlt haben. Das hat sich auch bei weiteren Pferden, die mich begleitet haben immer wieder bestätigt.
Für mich ist eine Haltung im Herdenverband auf einer möglichst großen, abwechslungsreichen (Topografie, Futterauswahl) Fläche mit einem Unterstand, den die Pferde aufsuchen können, wann sie es für richtig erachten, die bestmögliche Annäherung an eine artgerechte Haltung. Leider ist es in den meisten Fällen oft nicht umsetzbar. Ein Grund mit, warum ich mich in der HTW-Gruppe so wohl fühle, weil sich hier jeder Gedanken macht, wie er den Ansprüchen seines Pferdes gerecht werden kann.

Eva Maria mit ihrer Merensstute „Jolly“ mit gefühlvoller Zügel- und Schenkelhife. Jolly kam schwer misshandelt und traumatisiert zu Eva-Maria. Es zeigt, dass Pferde bei artgerechtem und respektvollen Umgang auch wieder dem Menschen vertrauen lernen. BU: Bernd Paschel, © 2016 Foto: Bruno Heinrich
Eva Maria mit ihrer Merensstute „Jolly“ mit gefühlvoller Zügel- und Schenkelhife. Jolly kam schwer misshandelt und traumatisiert zu Eva-Maria. Es zeigt, dass Pferde bei artgerechtem und respektvollen Umgang auch wieder dem Menschen vertrauen lernen. BU: Bernd Paschel, © 2016 Foto: Bruno Heinrich

Paschel: Zum Ende des Gesprächs möchte ich mit Euch noch ein Spiel machen: Ich beginne, Ihr setzt fort. Ungesunder Ergeiz des Reiters…

Sonja: … geht immer zu Lasten des Pferdes.

Paschel: Das Leistungsdenken des Reiters…

Kirsten: … ist oft eine Projektion, die nicht ausschließt, dass Pferde Ehrgeiz, Interesse und Motivation entwickeln aus Bewegungslust und Spieltrieb.

Paschel: Wichtig ist mir beim Reiten …

Eva Maria: … was Heinz Welz in seinen Kursen vermittelt: „Das Wichtigste ist die Liebe, denn ohne Liebe wird Überzeugung zu Fanatismus; Wissen zu Besserwisserei und Übung zum Drill.“

Paschel: Das Glück der Erde…

Sandra: … ist für viele Reiter auf dem großen Rücken der Pferde, für viele Pferde aber eine große Koppel mit Artgenossen, denn das Pferd wurde nicht im Sattel geboren.

Paschel: Das beste Pferd ist nur so gut wie…

Carmen: … sein schlechtester Huf. Das ist eine uralte Weisheit, die auch heute noch gilt.

Paschel: Kandare und Sporen …

 Emelie mit Haflinger „Körnchen“ besteigt das Podest, nachdem er sich am Führstrick mit der neuen Herausforderung angefreundet hat. BU: Bernd Paschel © 2016 Foto: Bruno Heinrich

Emelie mit Haflinger „Körnchen“ besteigt das Podest, nachdem er sich am Führstrick mit der neuen Herausforderung angefreundet hat. BU: Bernd Paschel © 2016 Foto: Bruno Heinrich

Emelie: … gehören nicht in die Hände von unerfahrenen Reitern und sind bei einem wohlerzogenen Pferd nicht notwendig.

Paschel: Eine allerletzte Frage: Wie habt ihr Euch als Gruppe gefunden?

Sonja Heinrich: Als Gründungsmitglied der Gruppe „Horse Team Work“ arbeite ich seit 40 Jahren mit Pferden und lerne seit 10 Jahren bei Heinz Welz, für den ich auch Seminare organisiere in Mittelhessen.

Wir haben uns ausschließlich auf Pferdeseminaren kennen gelernt, und festgestellt dass wir dieselben Interessen und Prinzipien haben, was das Leben und den Umgang mit unseren Pferden betrifft. Alle von uns halten ihre Pferde in Eigenregie, und da niemand von uns eine Reithalle zur Verfügung hat, lernen wir alles im Gelände oder auf einer geraden Wiese – so etwas macht sehr erfinderisch.
Außerdem versuchen wir uns in regelmäßigen Abständen zum Üben zu treffen, und in den Wintermonaten organisieren wir für Mitglieder und Freunde  Fortbildungsabende mit unterschiedlichen Themen, wie zum Beispiel:
– Klassische Homöopathie bei Pferden
– Zahngesundheit
– Hufbearbeitung
und vieles mehr.
Wir arbeiten nicht nur an unseren Pferden, sondern auch an uns – so haben wir Anfang des Jahres einen Segway Indoorpark besucht um unser eigenes Gleichgewicht zu schulen, und im Nebeneffekt hatten wir richtig viel Spaß dabei. Es steht im Raum aus demselben Grund auch einen Kletterpark zu besuchen. Auch gemütliche Grillabende mit den Partnern und Kindern gehört ins Programm.  Jedes Jahr finden sich neue tolle Mensch/Pferde Paare die unsere Überzeugung teilen, uns so ist die Gruppe auf mittlerweile 20 Pferdefreunde angewachsen, die z.T. auch  aus den benachbarten Bundesländern kommen.

Sonja Heinrich © 2015 Foto: Bruno Heinrich
Sonja Heinrich © 2015 Foto: Bruno Heinrich

Paschel: Eure Initiative sollte noch viele Nachahmer finden, denn sie zeigt, wie es um den Dachverband FN bestellt ist und wie wenig sich die Mehrheit der ReiterInnen, besonders natürlich im Freizeitbereich, in der FN vertreten fühlen. Zum Glück geht es auch ohne FN, wenn man/frau verzichtet auf Wettkämpfe, die das Pferd zum Nutztier und zur Maschine degradieren.
Vielen Dank für das engagierte Gespräch.

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Weiterführende Literatur:

Die Ethischen Grundsätze des Pferdefreundes“ von Breido Graf zu Rantzau, Präsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN).