Eschweiler, Deutschland (Salon Philosophique). Alexandra Wilhelm, geboren 1977 in Aachen, führt als Diplombiologin in Eschweiler bei Aachen die Praxis für ganzheitliche Pferdegesundheit, deren Schwerpunkt auf der ambulanten und stationären, ganzheitlichen Therapie von schweren Huferkrankungen liegt.
Die Diplom-Biologin studierte an der RWTH Aachen mit dem Schwerpunkt Molekulare Phytopathologie, ist zertifizierte Hufpflegerin nach Strasser und Hydroxytherapie-Therapeutin (OrthoCell AG). Sie promoviert zur Zeit in Biologie zum Thema“ Auswirkungen von Hufbeschlag und mangelhafter Hufbearbeitung auf die Entstehung von Hufkrankheiten wie Hufrollenentzündung und Hufrehe“ an der veterinärmedizinischen Abteilung der Universität Leipzig bei Prof. Dr. C. Mülling.
Paschel: Liebe Alexandra, wir hatten bereits ein Interview zur Hufbearbeitung bei WELTEXPRESS. Welche Fortschritte macht Ihre Doktorarbeit in Biologie zum Thema „Auswirkungen von Hufbeschlag und mangelhafter Hufbearbeitung auf die Entstehung von Hufkrankheiten wie Hufrollenentzündung und Hufrehe“ an der veterinärmedizinischen Abteilung der Universität Leipzig bei Prof. Dr. C. Mülling?
Wilhelm Dakita ist Teil dieser Arbeit, aber ich muss zugeben: Manchmal wird mir alles etwas zu viel neben meiner Arbeit in unserer Praxis für ganzheitliche Pferdegesundheit. Da ist ein Interview mit Ihnen noch eine Erholung.
Paschel: Dann lassen Sie uns gleich zum Punkt kommen. Dakita kam im März 2018 zu Euch, ein Pferd mit schwerer Hufrehe, einer Krankheit, die oft das Todesurteil bedeutet, nachdem das Pferd eine lange Leidenszeit hinter sich hatte.
Ist meine Einschätzung richtig, dass die wahren Ursachen der Hufrehe oft nicht erkannt werden und daraus folgend die Therapiemaßnahmen ins Leere laufen?
Wilhelm: Ja, das ist vollkommen richtig. Die Therapiemaßnahmen bei der Hufrehe bestehen bei der konventionellen, schulmedizinischen Behandlung aus der Gabe von Entzündungshemmern, Blutverdünnern und der Anordnung von orthopädischen Beschlägen. Durch eine solche Behandlung wird die Symptomatik der Hufrehe nicht geheilt, sondern bestenfalls aufgeschoben bis zum nächsten Hufreheschub und das aus einem ganz einfachen Grund: Die Ursache, wie Sie richtig vermuten, ist auch den meisten Fachleuten aus Tiermedizin und Huforthopädie nicht bekannt und wird auch nicht erkannt, wenn sie vorliegt, nämlich eine vollkommen unphysiologische Hufform, die sich durch schlechte Hufbearbeitung und Hufbeschlag manifestiert hat. Die Tatsache, dass die wirklichen Ursachen über Hufrehe nicht mehr publik gemacht werden, ist sehr traurig und nicht nachvollziehbar. Als meine Ausbilderin Dr. Hiltrud Straßer noch die Universität besuchte, gab es noch das Privileg eines Lehrstuhls für Hufkunde für Tiermediziner. Das ist heute nicht mehr so. Heute werden Hufe für Eisen passend gemacht und nicht Hufe passend fürs Laufen ohne Eisen – dass es da zu exorbitanten Unterschieden in der Hufbearbeitung kommt, ist kein Wunder. Wer weiß heute noch, wie ein gesunder Huf aussieht. Oft werden mir Pferde vorgestellt, die austherapiert sind oder aufgrund unklarer Lahmheit eingeschläfert werden sollen, damit ihr “Leiden” ein Ende hat. Tatsächlich sterben diese Pferde dann, weil ihnen die Füße weh tun und keiner in der Lage ist, dies zu erkennen, geschweige denn durch Wissen die Hufe so zu bearbeiten, dass sie wieder eine normale Form und Stellung bekommen. Aber zurück zur Hufrehe: Die Hufrehe ist eine Entzündung der Huflederhaut, die durch eine Überlastung der vorderen Bereiche des Hufes (der Lamellenlederhaut) entsteht, meist durch zu hohe Trachten.
Die Stoffwechselstörung, die die Hufrehe begleitet, ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, nicht der eigentliche Grund für die Hufrehe. Ein Pferd mit einer physiologisch korrekten Hufform wird durch Gras keine Hufrehe bekommen, vielleicht eine Kolik, aber keine Hufrehe. Wer etwas anderes behauptet, möge bitte Hufe im speziellen Fall bildgebend vorlegen.
Paschel: In der zugehörigen Fotoreportage geht es um die Dokumentation der notwendigen richtigen Hufkorrektur. Was sagen Sie zum sog. Rehebeschlag, der immer noch von Tierärzten empfohlen wird, die es eigentlich wissen sollten?
Wilhelm: Mit einem Rehebeschlag ist keine Heilung zu erreichen. Wenn Sie so wollen, handelt es sich um “lebensverlängernde Maßnahmen”, um Schmerzausschaltung und teilweise “Wiedernutzbarmachung der Tiere für eine kurze Zeit”. Man muss sich darüber bewusst sein, dass es einen Grund hat, warum die Pferde den Rehebeschlag bekommen:
Sie können bereits nicht mehr ohne Schmerzen laufen. Die logische Schlussfolgerung meinerseits ist, die Ursache der Schmerzen zu erkennen und zu beheben, als da wären, Trachtenzwang, Ballenzwang, Eckstrebenzwang, Sohlenzwang und oft auch Kronenzwang am BARHUF. Diese Ursachenbeseitigung funktioniert nur unter 100 % artgerechten Haltungsbedingungen wie sie selten zu finden sind. Die Böden müssen für solche Pferde in der Anfangsphase erschütterungsfrei sein, dennoch müssen sie die Möglichkeit zur freien Bewegung haben und das für 365 Tage im Jahr, 24 Stunden jeden Tag davon. Die Tiere brauchen zur Genesung Sozialkontakt, freien Himmel und qualitativ hochwertige und artgerechte Nahrungsmittel, wo finden Sie so etwas? Bestimmt nicht in einem Reitstall. Jeder betroffene Besitzer muss sich darüber im Klaren sein, dass sein Pferd schwer krank ist und für einige Zeit aus dem Verkehr gezogen werden MUSS, um wieder gesund werden zu können. Ein Stall mit täglichem Durchlauf an Reitern, Stress und Hektik ist alleine aus stressrelevanten Gründen völlig ungeeignet, um einem Pferd Bedingungen zur Heilung zu bieten. Abgesehen davon, dass eine Box oder Paddock von den Boden- und Bwegungsvoraussetzungen völlig ungeeignet sind. Dazu kommt noch, dass man den kranken Huf als solchen erkennen muss und auch dazu in der Lage sein muss, diesen wieder in die “normale” Form zu korrigieren. Das ist
alles andere als einfach. Es dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dahin zu kommen. Doch zurück zum Rehebeschlag: Was gibt es einfacheres als nichts ändern zu müssen, außer einen anderen Beschlag unter die Hufe machen zu lassen? Den verschiedenen Arten von Rehebeschlägen ist eines gemeinsam: Sie sind so konzipiert, dass die Durchblutung der Hufkapsel noch mehr abgeschnürt wird wie bei einem normalen Beschlag. Infolgedessen spüren die Pferde weniger und laufen deshalb natürlich auch “schmerzfreier”, aber nicht gut! Die Lage des Hufbeins wird durch den Rehebeschlag nicht verbessert, sondern meist extrem verschlechtert, sprich das Hufbein steht immer mehr auf der Spitze. Durch die Überlastung des vorderen Bereiches bilden sich dann immer mehr Stauungsringe, was anzeigt, dass die Verbindung zwischen Hufbein und Hornkapsel immer fragiler wird. Reißt die Verbindung, sinkt das Hufbein ab und es kommt zum Hufbeindurchbruch. Es wird dann zum Erlösen durch den Tod – sprich Euthanasie – geraten.
Paschel: Hufrehe ist eine typische Zivilisationskrankheit, denn bei Wildpferden kommt sie nicht vor. Liege ich da richtig, wenn ich sage, dass die gesunde Hufform in Verbindung mit der artgerechten Haltung in der Prävention vor und Rehabilitation nach der Hufrehe wesentlich Elemente sind?
Wilhelm: Es gibt eine Studie von Brain Hampson, die in Australien an den Brumbys durchgeführt wurde. Die Kontrollgruppen lebten in verschiedenen Lebensräumen, Steppe, Sumpf etc. Die Pferde, die auf steppigen Gebieten lebten, ähnlich den Mustangs wiesen keine Probleme an den Hufen auf, die Gruppe aus dem Sumpf zeigte sehr viele Hufrehe-Pferde mit extrem langen und verbogenen Wänden. Wildpferde können also auf jeden Fall an Hufrehe erkranken, wenn sie unter nicht artgerechten Bedingungen gehalten werden, im obigen Fall ist dass einzig und allein der nicht artgerechte Boden, der die Tiere krank macht. Pferde haben sich über Millionen von Jahren mit ihren Hufen an harten Boden angepasst. Ob sie jetzt im Ammoniak-getränkten Stroh stehen und schlechte Hufe bekommen oder ob sie im Sumpf in Freiheit leben, die Hufe werden krank, weil es nicht die Bedingungen sind, die sie brauchen, um gesund zu bleiben.
Pferde, die auf hartem Boden eine nahezu perfekte Bewegungsmenge von 25 km/Tag haben, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr gute Hufe haben – und das kommt daher, dass die Hornproduktion, also der nachwachsende Huf im Gleichgewicht ist mit dem Anteil an Abrieb, den es jeden Tag hat. Es kann erst gar nicht zu Deformationen an den Hufen durch “zu viel Horn kommen”. Immer wieder höre ich übrigens: “Bei meinem Pferd wächst nicht viel, der ist viel zu kurz”. Auch das ist ein Irrglaube: Oft ist einfach nur die Zehe abgelaufen, weil die Trachten viel zu hoch sind – das ist schon ein sehr bedenkliches Anzeichen in die falsche Richtung und doch wird nichts dagegen gemacht.
Paschel: Oft erlebe ich, dass Hufrehe-Pferde isoliert werden und nicht mehr auf die Koppel kommen. Gras und Kräuter sind doch das natürlichste Grundnahrungsmittel für Pferde oder?
Wilhelm: Ja, das ist die Standard-Empfehlung von den meisten Tierärzten, die davon ausgehen, dass das Gras der Übeltäter ist. Isolation, Diät und Bewegungseinschränkung lehne ich strikt ab. Sofern hier bei mir Patienten-Pferde mit Hufrehe neu ankommen, werden die Hufe direkt am Eingang in Ordnung gebracht und danach geht es selbstverständlich sofort in den Offenstall, also auch auf die Wiese. Allerdings heißt Wiese bei mir nicht, 24 Stunden saftige Rinderweide – das ist auch nicht richtig. Wie so oft, dass Mittelmass: 24 Stunden qualitativ hochwertiges Heu, freier Zugang zur Wiese zum Knabbern für den Kopf und Kräuter und Mineralien selbstverständlich auch, alles zur freien Verfügung, die Pferde nehmen sich was sie brauchen.
Paschel: Eine wichtige Frage habe ich noch: Kann ich als Pferdehalter an der Hufform meines Pferdes erkennen, ob ich mit meinem Hufschmied oder -pfleger mal ein ernstes Wort reden muss, weil sich evtl. eine Hufrehe ankündigt?
Wilhelm: Selbstverständlich! Gerade der Laie sieht viel mehr. Es ist mir schon passiert, dass ich von Pferdebesitzern gesagt bekommen habe, dass sie schon länger fanden, dass die Hufe komisch aussahen, aber man habe dem Fachmann vertraut! Ein Huf sieht gleichmäßig und eben aus, nicht schief, nicht mit Rissen, Rillen, Dellen oder Wandausbuchtungen. Er ist hart, stinkt nicht und ist nahezu symmetrisch. Die Knochenachse sollte dies auch sein. Sofern das Pferd rückständig steht und mit steiler Schulter, ist ebenfalls Vorsicht geboten. Ein Pferd, dem die Füße nicht weh tun, wird sich normalerweise immer mit 4 geraden Röhrbeinen hinstellen. Ständiges Entlasten von Gliedmaßen, Vorstellen eines Hufes oder das ständige Wechseln von Hufen im Stand zeugen von Schmerzen. Signifikant sind, wie ebenfalls gesagt, zu hohe und Trachten, die zu einer Überlastung der Huflederhaut führen oder untergeschobene Trachten, die das gesamte Sohlengewölbe hochdrücken und ein Abflachen verhindern und so z. B. zur Entstehung der Hufrollenentzündung führen (Podotrochlose).
Für jeden Pferdehalter ist es übrigens auch wichtig zu wissen oder sich auch immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass der Huf im unphysiologischen Zustand, auch nicht mehr seiner Funktion als Ausscheidungsorgan nachkommen kann. Die Entgiftung über die Hufe kommt zum Erliegen, wenn die Hufe verformt sind. Es werden dabei viele Arterien abgequetscht, d.h., die Blutzufuhr verringert sich und der Hufmechanismus erliegt durch das Zuviel an Horn; es bleiben dann viele Stoffwechsel-Abbauprodukte im Blutkreislauf
zurück, anstatt dass sie über die Hufe ausgeschleust und detoxifiziert werden. Andere Organe, die an der Entgiftung beteiligt sind, müssen dann das Mehr an Arbeit übernehmen: Haut, Schleimhaut, Nieren und vor allem die Leber. Frühmarker für eine Leberproblematik beim Pferd sind u. a. blauer Schimmer auf den Augen, ständig tränende Augen, Streifen im Rumpf in Rippengegend, sieht aus als wäre man vertikal mit den Fingernägeln durchs Fell gestrichen, Abmagerung, Hungerhaare im Fell (einzelne lange Haare, die raus stechen), aufgezogener Bauch und angelaufene Beine.
Nierenprobleme zeigen sich früh an durch Ödeme aller Art, untypisches Schwitzverhalten (zu stark / schwach), starkes Verlangen nach Salz, eingefallene Flanken, Juckreiz, Hufrehe und Abszesse/Strahlfäule.
Sind die Werte im Blut erhöht, dann hat man ein sehr großes Problem. Der Körper ist darauf ausgerichtet, die Homöostase zu erhalten, fallen Werte stark aus dem Rahmen, dann kann man von massiven Organschädigungen ausgehen. Lieber sollte man auf die Frühanzeichen reagieren und mehrmals im Jahr entgiften.
Paschel: Die letzte Frage ist nicht wichtig aber interessiert mich trotzdem noch zum Stichwort „unheilbar“. Hatten Sie je schon einen Fall von Hufrehe, wo Sie geraten haben, das Pferd zu erlösen?
Wilhelm: Nein. Wenn es nach mir geht, wird immer gekämpft. Die Pferde wollen auch immer kämpfen. In 10 Jahren habe ich ein Pferd retten wollen, was keine Kraft mehr hatte. Das war allerdings ein psychisches Problem und das Pferd hatte sehr viel Leid zuvor erlebt, 10 Besitzer in 8 Pferdejahren glaube ich. Er hatte allerdings keine Hufprobleme. Die Antwort muss ich also anders formulieren: Unheilbar ist ein Hufrehefall, wenn a) das Hufbein entweder zum großen Teil schon abgebaut ist und die Methode auch unter optimalen Bedingungen nicht mehr funktionieren würde, weil keine Substanz mehr da ist, mit der man arbeiten kann oder b) wenn die Pferdebesitzer sich für die Zeit der Huf-Rehabilitation nicht mit den Bedingungen anfreunden können, die ihrem Pferd zur Verfügung gestellt werden müssen: Optimale Böden, 24 Stunden freie Bewegung, 24 Stunden Zugang zu bestem Heu, Mineralien, Sozialkontakte, Hufbäder und physiologisch korrekte Barhuf-Therapie. Entweder man schafft die Voraussetzungen selber oder man bringt das Pferd in eine stationäre Reha wie es bei Dakita geschehen ist. Zu dieser Entscheidung würde ich immer raten, denn in der Regel müssen die Hufe bei schweren Huf-Diagnosen alle paar Tage behandelt werden und nicht alle paar Wochen wie bei einem Standard-Hufpflege-Programm.
Ich freue mich sehr, dass Sie die Geschichte von Dakita aufgegriffen haben, denn so kann man vielen Menschen und auch Tieren Hoffnung geben: Ein Pferd mit umfangreicher Krankenvorgeschichte und Hufrehe mit 2 Hufbeindurchbrüchen im Alter von 26 Jahren, das nach 4 Monaten wieder anfing sein Leben zu genießen, ist einfach toll. Ich freue mich sehr für Dakita und auch für ihre Besitzerin, die alles, aber auch wirklich alles für ihr Pferd getan hat.
Paschel: Das sind hoffnungsvolle Worte für Besitzer von Rehepferden. Lassen Sie uns ein nächstes Interview planen, vielleicht über die „Hufrolle“, wenn Sie Ihre Promotion abgeschlossen haben. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
Weiterführende Informationen:
Video: Dakitas wundersame Heilung
Der Beitrag wurde erstveröffentlicht bei Weltexpress am 18. 9. 2018