Berlin, Deutschland (Salon Philosophique). Der Titel „Gebrauchsanweisung für Pferde“ des neuen Buches der Bestseller-Autorin Juli Zeh ist nicht, wie der Name erwarten lässt, ein weiteres Fachbuch für die Ausbildung von Pferden, sondern die Autobiographie der Reiterin Juli, die als kleines Mädchen schon vor der Pubertät von dem „Pferdevirus“ infiziert wurde:
„Ich war ein echtes Pferdemädchen. Eines jener obsessiven Geschöpfe, die jede freie Minute im Reitstall verbringen.“
In der Tat ist diese Virusinfektion nur schwer vermittelbar, selbst für Juli Zeh, die kurz vor dem Abitur das Reiten aufgeben musste aus Zeitmangel und erst nach dem Jurastudium und einer beruflichen Karriere als Verfassungsrichterin zurück fand zu ihrer Passion.
Es gelingt ihr, aus der Distanz die eigene Kindheit mit Pferden, teils in einer kindlichen Sprache, wieder lebendig werden zu lassen. Das Glücksgefühl im Kontakt mit Pferden ist für sie das Einzigartige, was Reiten von anderen Sportarten unterscheidet. Als vielseitiger Sportler muss ich ihr da leider widersprechen, denn ein Glücksgefühl kann in vielen Sportarten auftreten im Klettern, Fechten, Langlauf, Ballsport, eigentlich überall, wo ein Flow-Erlebnis möglich ist durch ein intensives Erleben der Bewegungslust. Beim Reiten steht anfangs die intensive Nähe mit Pferden:
„Die Seligkeit, sich mit dem Tier zu beschäftigen, es zu füttern, zu putzen. Zu hören, wie es Heu kaut. Den warmen, gewaltigen, friedlichen Leib unter den Händen zu spüren.“
Das Reiten ist häufiger ein Kampf, der Unlust erzeugt, wie das auch Juli Zeh selbst beschreibt als junges Mädchen und als Frau. Auf diesem Weg des Erwachsen-Werdens eines Pferdemädchens durchläuft Juli Zeh mehrere Stadien von Unterricht oder wie sie es nennt „Dramen“ in der Reitschule mit einem Reitlehrer der alten Schule, der von Pädagogik unbeleckt scheint:
„Gebellte Kommandos des Reitlehrers – Rücken gerade, Hacken runter, Abteilung Teee-rab!“
Diese Art Reitlehrer sind auch heute noch in vielen Reitställen und auf Reitturnieren anzutreffen. Typisch ist auch, dass irgendwann der Wunsch kommt, ein eigenes Pferd zu besitzen:
„Ich war ein praktisch wunschlos glückliches Kind. Ich hatte eine Familie, ein Obdach, genug zu Essen, Freunde, Gesundheit… Der Pferdefuß sozusagen: Ich besaß kein eigenes Pferd.“
Ein paar Jahre später, mit Fünfzehn, wurde der Traum jedoch teilweise erfüllt, da Juli die Gelegenheit bekam, ein junges Pferd zu pflegen, dessen Besitzer wenig Zeit hatte. Das Pferd stand in einem Privatreitstall, der mit all seinen negativen Qualitäten exemplarisch war für viele Privatställe mit eingebildeten Reitern, die ihre Pferde wie Maschinen behandeln. Zu ihrem Glück traf Juli auf eine ältere Frau, deren Pferd bezeichnenderweise Moppel hieß, und von Frau Vanderbilt ohne Strick aus der Box geholt wurde. Frau Vanderbilt nahm Juli unter ihre Fittiche. Sie war im Grunde der Schlüssel für die langsam erwachsen werdende Juli zu einem anderen Pferdebild, das nicht durch Gewalt und Gehorsam geprägt war, sondern durch Respekt beiderseitig.
Die oben genannte Reitpause trat kurz danach ein und trug vielleicht auch dazu bei, dass die erwachsene Frau Zeh mit über 30 Jahren nach 15 Jahren mit Distanz zu ihrer kindlichen Sozialisation im Reiten und besagtem anderen Pferdebild zu den Pferden zurück finden konnte.
Das Buch handelt jetzt von einer erwachsenen Frau und auch die Sprache, die Juli Zeh nun spricht, ist nicht mehr die kindliche Mitteilung von Gefühlen, sondern eine kritische und selbstkritische Betrachtung der Pferdeszene:
„Eingeschränkten Nutzen, also mangelnde Effizienz, ertragen wir immer weniger. Auf diese Weise degradieren wir alles, was uns umgibt, zum Objekt. Behandelt man einen Menschen als Objekt, wird man zum Menschenquäler. Behandelt man ein Tier als Objekt, wird man zum Tierquäler.“
Obwohl mittlerweile gut situiert mit der Familie lebend in einem Haus auf dem Land, kommt nicht ein „hoch im Blut stehendes Pferd mit edler Abstammung“ ins Haus, sondern das erste eigene Pferd ist ein schwerst traumatisierter Gaul, der zum Schlachtpreis erworben wird. Deutlich zeigt sich hier, das Pferd ist nicht, wie für viele Frauen, ein Statussymbol, sondern das traumatisierte Pferd ist der Start für einen zwölfjährigen Lernprozess in der Pferdekommunikation. Im Gegensatz zu vielen Reiterinnen, die als Mädchen „Reiten gelernt“ haben und nicht aus ihrer pubertären Sichtweise zum Pferd heraus kommen, hat vielleicht die Reitpause Juli Zeh ermöglicht, dass sie als Erwachsene mit Abstand das Pferd betrachten kann.
Wie sieht das aus?
- Der respektvolle Umgang mit dem Pferd ist nur möglich, wenn ich dem Pferd eine artgerechte Haltung in der Herde ermögliche.
- Der Mensch muss, wenn er mit dem Pferd kommunizieren will, die Pferdesprache erlernen. Wie das Reiten-Lernen bedarf es hier einer systematischen Aneignung von theoretischem und praktischen Fähigkeiten, bei der sich natürlich Menschen schwer tun, die im Glauben sind, schon alles über Pferde zu wissen.
- Ein Rückbestimmung muss stattfinden zu dem eigentlichen Sinn des Dressurreitens, wo das Ziel war, ein gelassenes Pferd im Gelände und sogar im Krieg zu haben.
- Eine kritische Distanz zu Auswüchsen des Sportreitens zu finden.
„Die Freuden der Reiterei bestehen für mich gerade in der korrekten Gymnastizierung, ganz gleich, ob auf dem Reitplatz oder im Wald… Hinter jedem Spitzenpferd stehen Abertausende, unsichtbar, die auf dem Weg zum Erfolg verschlissen wurden.“
Ein Schmunzeln sei erlaubt, wenn Juli Zeh zum Ende von „Pferdefrauenmännern“ berichtet, die sich weigern, auf das Pferd zu steigen:
„Weil es ansonsten zu langweilig wäre, verwandeln sie sich in Supporter, auch als „TT“ (Turniertrottel) genannt. Sie schleppen Futtersäcke und Ausrüstung, können den Pferdeanhänger rückwärts einparken, wissen auf Turnieren, wo die Meldestelle ist, und haben die Telefonnummern sämtlicher Tierärzte gespeichert…“
Nicht unbeschadet bleiben die Pferdefrauen, die sich zusammenschließen, um einen eigenen Pferdestall zu übernehmen:
„Das Problem sind nicht die Pferde, das Problem sind die Pferdefrauen. Zur Verwaltung eines Pferdefrauenrudels existieren zwei Modelle. Das eine heißt Diktatur, das andere Demokratie. Beide sind gleich schrecklich.“
Probleme, die zwischen Pferdefrau und Pferdefraumann im privaten Bereich auftreten, beschreibt Juli Zeh sehr lebendig in ihrer bildhaften Sprache.
Die nicht unerheblichen Kosten für das Pferd trägt oft der reitverweigernde Mann. Besonders teuer kann es werden, wenn die Frau zur Pferdesammlerin wird:
„Oft beginnt es ganz harmlos mit dem ersten eigenen Pferd. Nach einer Weile stellt man fest , dass das erste Pferd ein zweites braucht, als Beistellpferd und Begleitpferd, wenn man das Pferd am Haus hält, wo es natürlich eine Kumpel zur Herdenbildung benötigt… Als nächstes der Gedanke an die Kinder. sie sind zwar zwei oder 4 Jahre alt, aber möglicherweise wollen sie ja irgendwann ein Pony… Das nächste Pferd ist ein Notverkauf aus dem Nachbarstall, ein Gnadenbrotfall, der zum Schlachter gewandert wäre, wenn man ihn nicht gerettet hätte.“
Solche Beispiele sind aus dem Leben erzählt und die Ironie von Juli Zeh steht zwischen den Zeilen.
Statt eines Nachwortes kommt ein Glossar am Schluss, wo es um einige Begriffe geht von Arbeit bis Zen-Buddhismus, alphabetisch geordnet, Begriffe, die , wie es scheint, im Buch zu kurz gekommen sind und vielleicht als Kapitel für eine Fortsetzung dienen könnten.
Aus den Artikeln und Interviews bei Weltexpress, die bisher erschienen sind, könnte die Autorin, wenn es denn eine Fortsetzung des Buches gibt, einige Anstöße zum Nachdenken über den Sinn und Unsinn der Ausbildungsskala der FN finden, die Prof. Heinz Meyer benennt: „Sie wird dem komplexen Verlauf der Ausbildung eines Pferdes nicht gerecht, sie vereinfacht die realen Prozesse über Gebühr.“ (Zitat H. Meyer, nachzulesen im Interview mit Monika Lehmenkühler)
Zum Thema „Gebisslos“ liegen seriöse Forschungen vor durch Prof. Cook (Zitat) „Da Pferde instinktiv etwas anderes als Wasser oder Nahrung im Mund ablehnen, stellt sich die Frage – warum mit „Metall auf Knochen“ (Berührungs- und Schmerzrezeptoren provozierend) ein Signal ausgelöst wird, wenn „Gurt auf der Haut“ (nur Berührung) schmerzlos möglich ist?“ , Forschungsergebnisse, die schon 2001 in der damals populären Pferdezeitschrift „Reiten heute“ veröffentlicht wurden, aber von den traditionellen Reitern beerdigt wurden bis sie jetzt wieder auferstanden sind.
Das Buch ist zu empfehlen:
- Allen Reiterinnen und ihren Begleitern, weil es ihnen einen Spiegel vor die Augen hält
- Allen Reitverweigerern, wenn sie wissen wollen, wie es gewöhnlich in Reitställen aussieht.
- Allen Lesern, die Juli Zeh wegen ihrer lebendigen Sprache lieben.
Bibliographische Angaben
Juli Zeh, Gebrauchsanweisung für Pferde, 222 Seiten, Verlag: Piper, 1. Auflage, München, 2019, ISBN: 978-3-492-27739-6, Preis: 15 EUR (D)
Der Beitrag wurde erstveröffentlicht am 24.3. 2019 bei Weltexpress